So häuften sich Wunder über Wunder. Der Glaube versetzt Berge! Wilsnack erstand aus der Asche zu neuer, ungeahnter Blüte. Um das Sakramentshäuschen mit dem Tabernakel drängten sich die Menschen, arme und reiche, Fürsten und Bettler. Der Bau einer Wallfahrtskirche begann. Die Buden mit bleigegossenen Wilsnacker Heilszeichen machten Geschäfte, und eine Herberge neben der anderen entstand. Wunderliche Namen hatten sie oft („Weiße Gans“, „Roter Ziegel“, „Flegel“, „Ochsenkopf“ und viele andere), und in ihren Räumen erklangen nicht nur alle deutschen Dialekte, sondern auch viele fremde Sprachen. Ganze geschlossene Pilgerscharen kamen aus fernen Ländern an. Eine der originellsten war die aus Ungarn. Jedes Jahr zum Pfingstfest erschien dieser lange Zug. Ein Häuflein in seiner Mitte trug auf entblößten Schultern einen ausgehöhlten und mit Nägeln gespickten langen Baumstamm. Der Stamm barg in seiner Höhlung ein „erschröcklich groß Licht“, so groß, daß es der Priester nur von der Empore aus anzünden konnte und daß es genau ein Jahr brannte, bis das nächste heran war. Die wohlhabenden Skandinavier kamen, ein großes Fürstentreffen fand beim Wunderblut statt, eine Königin erschien mit reichem Gefolge. Es blieb viel Geld in Wilsnack. Man muß der Kirche lassen, sie war ein guter Treuhänder. Sie baute. Alles Geld floß zur Kontrolle und zur Verbuchung nach Havelberg, nur ein Drittel davon kam nach Wilsnack zurück. Davon entstand die gewaltige Wunderblutkirche.
Es war nicht leicht, sie zu bauen. Auf dem Kronsberg bei Ponitz, von dessen Kamm man heute die Wunderblutkirche liegen sieht, träumt unter Birken und Erlen der gewaltige Findling von der Zeit vor fast 600 Jahren, wo man damals in unzähligen Fuhren seine eiszeitlichen Wandergesellen zum Fundamentbau der Wallfahrtskirche wegholte, große Löcher rundherum im Boden zurücklassend. Ihn hatte man nicht zwingen können, und als der „Große Stein“ ist er uns heute ein urzeitliches Denkmal. Auch der Kies fehlte bei Wilsnack und der Lehm zum Ziegelbrennen. So mußte man alles mühselig auf sandigen Heidewegen meilenweit herholen. Und doch löste, der Baumeister seine Aufgabe in einer Weise, daß wir heute bewundernd vor seinem Werk stehen und nur bedauern, daß wir seinen Namen nicht wissen.
Es entstand eine typische Wallfahrerkirche. Breit war sie, und doch trugen die ragenden Säulen und die haltenden Strebepfeiler in kühner Wölbung die hohe, sich weit spannende Decke und auch das Dach, dessen sich über dem Gewölbe befindliche Balkenkonstruktion schon allein vor dem handwerklichen Können der damaligen Zeit größte Hochachtung abnötigt. Das geräumige Kirchenschiff bot wohl tausend Menschen Platz zum Knieen, wenn vom Prälatengebäude her, über den sich harmonisch schwingenden, heute von dichtem Efeu malerisch umrankten Schwibbogen hinweg, der amtierende Geistliche den Hochgang der Kirche betrat und den oft dicht gedrängten Gläubigen da unten die wundertätigen Hostien zur Verehrung
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