Heft 
(1955) 9
Seite
275
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und Anbetung darbot. Altäre mit brennenden Kerzen standen ringsum an den Wänden, Beichtstühle liehen ihr Ohr dem armien Sünder, ein Lettner trennte Chorraum und Schiff. Die jetzt schon riesige Kirche war fast noch mal so lang geplant; die letzten Säulen im Schiff mit ihrem Bogenansatz, die Verbindungssteine draußen am Westgiebel und vor allem das noch heute in der Erde befindliche und bis zum jetzigen Rathaus reichende Fundament erzählen uns davon. Wohl auch die Säule mit dem Standbild des Johann Wöpelitz, das wohl als Mittelpunkt des endgül­tigen Kirchengebäudes gedacht war. Ein breiter, wuchtiger Turm sollte den Abschluß bilden.

Die Reformation kam, hier können wir fast sagen leider, zu früh. Sie beendete alle Pläne. Sie nahm auch viel Kostbares nach Berlin. Darunter die für den Turm vorgesehenen großen Glocken. Die größte (so schwer, man muß sie tretten) hing bis in unsere Zeit im Berliner Dom und zersprang beim Sterbegeläut für die letzte deutsche Kaiserin. Die Wunder­blutkirche aber stand ein Jahrhundert mit nur behelfsmäßig geschlosse­nem Giebel da. Auf ihn setzte man für den geplanten großen Turm ein bescheidenes Dachreiterchen. Als man den Giebel endlich 1587 mit festem Mauerwerk schloß, war auch im Baustil eine neue Zeit angebrochen. Die gotische Kirche erhielt den prachtvollen Renaissancegiebel. Seine fein aufgeteilte Horizontalgliederung, im Gegensatz zur Vertikallinienführung der Gotik, erfreut jeden Beschauer. Nur den amerikanischen Richtkanonier ließ die Renaissance kalt. Er feuerte im April 1945 von der nur ein paar Kilometer entfernt liegendenWestfront eine Granate hinein. In der Wunderblutkirche aber erzählt heute noch die Ruine des feldsteinernen Wehrturmes der alten Dorfkirche, der 1383 den Flammen trutzte, von den Schrecknissen der Raubritterzeit.

Die großen und kleinen Wilsnacker Scherflein haben auch unsern Prig- nitzer Dom in Havelberg geschmückt. Der Lettner als sein kostbarstes Schmuckstück entstand. Ein Dutzend Steinmetzen schuf ihn. 20 bewegt und ausdrucksvoll gestaltete Reliefszenen zeigen uns, daß man auch totem Gestein Leben einhauchen kann.Predigende Steine! 14 vollrunde Figu­ren unterteilen das Ganze.

Wilsnacks großer Sohn, der Bischof Johann Wöpelitz, der achtundzwanzig­ste und bedeutendste unter den 46 Havelberger Bischöfen, ist im vollen Bischofsornat und mit schmalem, geistvollem Gesicht eines dieser meister­haft gemeißelten Standbilder. Hinterm Lettner liegt dieser kunstsinnige Kirchenfürst im marmornen Sarkophag begraben. Er war als armer Leute Kind durchs Kloster gegangen, seine Begabung hatte ihn nach Prag und Paris zu den höchsten Bildungsstätten der damaligen Zeit geführt, er errang den Titel eines Magisters der Sorbonne, doch es trieb ihn in die Heimat, in die Prignitz zurück. Hier ließ der hochgebildete, feinsinnige Mann Werke schaffen, die als deutsches Kulturerbe zu den wertvollsten Kunstschätzen