« Graf Petöfy »
Zeitgeschichtliche Anregung
Die Vossische Zeitung brachte in ihrer Morgenausgabe vom 13. Dezember 1884 eine ausführliche Rezension über « Graf Petöfy », die mit einem Hinweis auf die mutmaßlichen Anregungen für den Roman begann.« Theodor Fontane liebt es », so schrieb der Kritiker, «seine im modernen Leben spielenden Erzählungen auf wirklichen Vorkommnissen aufzubauen, wie das bekanntermaßen namentlich in der prächtigen Novelle ,L’Adultera’ der Fall ist. Wenn nun der Dichter in seinem neuen Werke einen alten österreichischen Grafen, der einen ungarisch klingenden Namen führt und einstmals ein großer Held im Sport gewesen ist, eine im Fache der Naiven ausgezeichnete Schauspielerin heiraten und nach kurzer Ehe sterben läßt, so werden viele Leser in diesen Momenten eine große Ähnlichkeit mit realen Tatsachen entdecken. Diese Ähnlichkeit ist indessen rein äußerlich und aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Dichter gar nicht beabsichtigt; nur bis zur Heirat des Titelhelden mit der Künstlerin trifft einiges mit der Wirklichkeit überein, im weiteren aber bieten sich keine Vergleichspunkte mit der letzteren.»
Die Zeitgenossen mögen den Wink noch verstanden haben, aber sdion für Conrad Wandrey scheinen sich jene «realen Tatsachen» verwischt zu haben. Er schreibt in seinem 1919 erschienenen Fontane-Buch: «Wie in .L’Adultera’ gibt ein Berliner [!] Gesellschaftsereignis den Anstoß und Stoff. Eine beliebte jugendliche Künstlerin des Königlichen Schauspielhauses zog sich von der Bühne zurück und heiratete einen ungarischen Grafen in beträchtlich vorgerückten Jahren. Sei es nun, daß die Schauspielerin als Persönlichkeit Fontane nicht interessierte (als Theaterkritiker kannte er sie sehr wohl), sei es, daß der ungarische greise Freier seinem Empfinden ferner stand als etwa der Berliner Kommerzienrat van der Straaten, jedenfalls hat keine der beiden Gestalten seine dichterischen Kräfte zur Anspannung gebracht.» Damit war dem Roman für lange Zeit das Urteil gesprochen, und ob Fontane nun den Stoff dieses « epischen Nebenwerkes» gefunden oder erfunden hatte, schien nicht weiter von Belang.
Gewiß, « Graf Petöfy » erreicht nicht das zeitdiagnostische Niveau der späteren Romane; er gestaltet eine Eheproblematik, die aus erheblichem Altersunterschied, aus charakterlichen Differenzen und vor allem aus einem sonder-
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