«Mathilde Möhring»
Textbefund
Die Fassung des Werkes in dem von Josef Ettlinger besorgten Band «Aus dem Nachlaß von Theodor Fontane» (1907) ist bisher in allen Ausgaben unbesehen nachgedruckt worden, obwohl die lakonische Bemerkung des Herausgebers über die Textgestaltung hätte stutzen lassen müssen. In einer Fußnote erklärte Ettlinger: «Die Redaktion des Druckes beschränkt sich auf eine leichte Nachbesserung noch vorhandener stilistischer Flüchtigkeiten und auf die Feststellung des Textes an den ziemlich zahlreichen Stellen, wo der Dichter selbst sich zwischen mehreren von ihm niedergeschriebenen Lesarten noch nicht entschieden hatte.» Ettlinger befand sich mit diesem Verfahren zwar in «guter» Gesellschaft; denn auch die Herausgeber der Theaterkritiken und vor allem der Briefe waren mit «Nachbesserungen» aller Art großzügig zur Hand. Was dabei freilich weg- und hineinredigiert worden ist, das stellt sich erst jetzt in erschreckendem Ausmaß heraus. Und nicht weniger Überraschungen bietet die Untersuchung von Ettlingers Editionstechnik an Hand des Manuskripts.
Ein erster Vergleich zwischen Druck und Handschrift erweist zunächst, daß der Roman in seiner äußeren Struktur viel weiter ausgebildet ist, als man bisher annehmen konnte: das Manuskript ist in siebzehn Kapitel gegliedert. Noch Hans-Heinrich Reuter widmet der angeblich fehlenden Kapiteleinteilung in seiner Monographie (S. 696) einen interessanten Exkurs, weil er mit Recht davon ausgeht, daß der Dichter Kapitelgruppierungen als Kunstmittel zu handhaben pflegte und fehlende Kapiteleinteilung « ein untrügliches Zeichen des Unfertigen beim alten Fontane » sei. Was Reuter, von Ettlinger in die Irre geführt, noch « schmerzlich vermißt », die « optischen Gliederungswinke » als Zeichen gedanklicher Zäsuren - das ist im Manuskript sehr wohl vorhanden und wird in der vorliegenden Ausgabe erstmals wiedergegeben. Nicht besser sieht der Text selbst aus. An vielen Stellen hat Ettlinger sich «verlesen». So wurde beispielsweise im dritten Kapitel aus dem Satz «Dazu war er viel zu bequem und fror immer» die Version: «Dazu war er viel zu bequem und fromm », und die Woldensteiner Firma Silberstein und Isen- thal verwandelte sich in Silberstein und Ehrenthal. Dergleichen Versehen sind bei dem streckenweise nur mit Mühe zu entziffernden Manuskript allen-