Heft 
(1891) 66
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Unwiederbringlich.

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vor ihm stehende Satte, nahm einen ersten Löffel voll und sagte dann, während er seinen Bart putzte:Schwager, da divergiren wir. Der einzige Punkt. Und ich setze hinzu glücklicherweise. Denn mit seiner Schwester dars man schon allen­falls Krieg führen, aber mit seinem Schwager nicht. Ich beruse mich übri­gens auf Petersen, der hat am meisten vom Leben gesehen . . "

Petersen nickte.

Sieh, Holk", fuhr sein Schwager fort,Du sprichst da von Fuchs und Storch. Nun gut, ich habe nichts dagegen, daß wir in die thiergeschichtliche Fabel hineingerathen, im Gegentheil. Denn es gibt auch eine Fabel vom Vogel Strauß. Lieber Holk, Du steckst den Kopf wie Vogel Strauß in den Busch und willst die Gefahr nicht sehen."

Holk wiegte sich hin und her und sagte dann:Ah bah, Alfred. Wer sieht überhaupt in die Zukunft? Nicht Du, nicht ich. Aber schließlich, Alles ist Wahrscheinlichkeitsrechnung und zu dem Unwahrscheinlichsten von der Welt gehört eine Gefahr von Berlin oder Potsdam her. Die Tage der Potsdamer Wachtparade sind vorüber. Nichts über den alten Fritzen, er hat keinen größeren Verehrer als mich; aber Alles, was er gethan hat, hat den Charakter einer Episode, die für sein Land geradezu verhängnißvoll geworden."

Also der Ruhm eines Landes oder gar seine Größe, sein Verhängniß."

Ja, das klingt sonderbar und doch, lieber Arne . ."

Holk unterbrach sich, denn man hörte vom Nebenzimmer her, daß Asta sich mühte, die Begleitung eines Liedes auf dem Flügel herauszutippen. Es wurde aber gleich wieder still, und Holk seinerseits wiederholte:Ja, Schwager, klingt sonderbar, daß der Ruhm ein Verhängniß sein soll und doch, dergleichen kommt vor und entspricht dann immer der Natur der Dinge. Möglich, daß auf diesem brandenburgischen Sumpf- und Sandland, auf dem sa die Semnonen und ähn­liche rothhaarige Welteroberer gelebt haben sollen, ein neues Welteroberungsvolk hätte gedeihen können, gut, zugegeben, aber da hätte dies Land einen langsam normalen Werdeproceß durchmachen müssen. Den hat dieser große Friedrich gestört. Als Kleinstaat legte sich Preußen zu Bett, und als Großstaat stand es wieder aus. Das war unnormal und kam einfach daher, daß es die Nacht über, oder genauer gerechnet etliche vierzig Jahre lang, in einem Reck- und Streckbett ge­legen hatte."

Holk, das sind nicht Deine Ideen" sagte Christine.

Nein, und ist auch nicht nöthig; es genügt, daß ich sie mir angeeignet. Und so laß mich denn in meinen entlehnten Ideen sortsahren. Allen Respect vor dem großen König, er ist eine Sache für sich. Aber das sozusagen post­hume Preußen, das Preußen nach ihm, ist kein Gegenstand meiner Bewunderung, immer im Schlepptau, heute von Rußland, morgen von Oesterreich. Alles, was ihm geglückt ist, ist ihm unter irgend einem Doppelaar geglückt, nicht unter dem eigenen Adler, er sei schwarz oder roth. Es hat etwas für sich, wenn Spötter von einem preußischen Kuckuck sprechen. Ein Staat, der sich halten und mehr als ein Tagesereigniß sein will, muß natürliche Grenzen haben und eine Natio­nalität repräsentiren."