Issue 
(1891) 66
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Justus von Liebig.

Eigenhändige biographische Aufzeichnungen*).

Mein Vater, der einen Handel mit Farbwaaren hatte, beschäftigte sich häufig damit, manche von den Farben, die er in seinem Geschäfte führte, selbst zu machen und er hatte sich dazu ein kleines Laboratorium angelegt, zu welchem ich Zutritt hatte, da ich zuweilen die Gunst genoß ihm als Handlanger zu dienen.

Seine Versuche machte er nach Vorschriften in chemischen Werken, welche aus der reichen Hofbibliothek mit großer Liberalität leihweise an die Bewohner Darmstadts abgegeben wurden.

Das lebhafte Interesse das ich an den Arbeiten meines Vaters nahm, führte mich von selbst auf das Lesen der Bücher, die ihn in seinen Versuchen leiteten, und es entwickelte sich allmälig in mir eine solche Leidenschaft für diese Bücher, daß ich gegen alles Andere, was sonst Kinder anzieht wie abgestumpft wurde.

Da ich mir nicht nehmen ließ, die Bücher in der Hosbibliothek selbst zu holen, so wurde ich mit dem Bibliothekar Heß bekannt, der sich mit Botanik mit Erfolg beschäftigte, und da er an dem kleinen Burschen Gefallen fand, so bekam ich durch ihn alle Bücher die ich nur haben mochte, für meinen eigenen Gebrauch; das Lesen der Bücher ging natürlich ohne irgend eine Ordnung vor sich; ich las die Bücher, wie sie eben auf den Bretern aufgestellt waren, von unten nach oben, von rechts nach links war mir ganz gleichgültig; für ihren Inhalt war mein vierzehnjähriger Kopf wie der Magen eines Straußes, und es fanden darin die zweiunddreißig Bände von Macquer's chemischem Wörter­buch, der Triumphwagen des Antimonii von Basilius Valentinus, Stahl's phlogistische Chemie, Tausende von Aussätzen und Abhandlungen in Göttling's

In den sechziger Jahren hatte mein Vater, Justus Freiherr von Liebig, biographische Aufzeichnungen gemacht, welche dann bei Seite gelegt wurden. Als er aber später wieder daraus zurückkommen wollte, konnten sie nicht mehr aufgefunden werden, und er unterließ die Fort­setzung. Den vorliegenden Theil dieser Aufzeichnungen habe ich vor Kurzem unter anderen Manuscripten von der Hand meines Vaters gefunden, sie geben ein vollständiges Bild von dem Wege feiner geistigen Ausbildung und von der Entwicklung feiner wissenschaftlichen Thätigkeit.

vr. Georg Freiherr von Liebig, München-Reichenhall.