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Deutsche Rundschau.
War mir von Ehr. Gmelin zur Untersuchung zugeschickt worden, und ich hatte eine Analyse desselben in Poggendorf's Annalen veröffentlicht; seit dieser Zeit hatte ich ihn nicht wieder gesehen.
Als wir aber den Stoff aus der Harnsäure analysirt hatten, so zeigte sich ein Unterschied im Kohlenstoffgehalte; der neue Körper gab IU 2 Procent Kohlenstoff, und da der Stickstoff nach der qualitativen Methode bestimmt worden war, eine entsprechende Stickstoffmenge (4 Procent) mehr; hienach konnte es unmöglich Allantoin sein. Ich traute aber meinem Augeugedächtniß mehr, als meiner Analyse, und war ganz sicher, daß es Allantoin sei, und es handelte sich jetzt darum, den Rest des srüher analysirten auszusinden, um dieses auss Neue zu analysiren; ich konnte das kleine Gläschen, worin er war, mit solcher Genauigkeit beschreiben, daß es meinem Assistenten zuletzt gelang, es unter ein paar Tausend anderer Präparate aufzufinden; es sah genau so aus, wie unser neuer Körper, allein die Betrachtung unter der Lupe ergab, daß Gmelin bei der Darstellung seines Allantoins dasselbe mit thierischer Kohle gereinigt hatte, von der etwas beim Filtriren durch das Papier gegangen, sich den Krystallen beigemengt hatte.
Ohne die volle Ueberzeugung von der Identität beider Körper, die ich hatte, wäre das aus der Harnsäure künstlich erzeugte Allantoin unzweifelhaft als ein neuer Körper angesehen und mit einem neuen Namen belegt worden, und eine der interessantesten Beziehungen der Harnsäure zu einem der Bestandtheile des Harns des Fötus der Kuh wäre auf lange hin vielleicht unbeachtet geblieben.
In dieser Weise kam es, daß Alles, was ich sah, absichtlich oder unabsichtlich mit gleichsam photographischer Treue in meinem Gedächtniß haften blieb; bei einem nahen Seifensieder sah ich das Seifekochen und lernte, was der „Kern" und das „Schleifen" sei, und wie man Weiße Seife mache, und ich hatte nicht wenig Vergnügen, als es mir gelang, ein Stück Seife aus meiner Fabrik mit Terpentinöl parfümirt zu präsentiren; in allen Werkstätten der Gerber und Färber, der Schmiede und Messinggießer war ich zu Hause, und jeder Handgriff mir geläufig; aus dem Markte in Darmstadt sah ich einem herumziehenden Händler mit Allerlei ab, wie er Knallsilber zu seinen Knallerbsen machte. An den rothen Dämpfen, die sich bildeten, als er sein Silber auflöste, sah ich, daß er Salpetersäure dazu nahm und dann eine Flüssigkeit, mit der er an den Leuten schmutzige Rockkragen reinigte und die nach Branntwein roch.
Daß ich bei dieser Geistesrichtung in der Schule sehr kläglich bestand, begreift sich leicht; ich hatte kein Gehörgedächtniß, und nichts oder sehr wenig von dem, was man durch diesen Sinn lernt, blieb bei mir haften; ich befand mich in der unbehaglichsten Lage, in der ein Knabe nur sein kann; die Sprachen und Alles, Was man damit aufnimmt und in der Schule an Lob und Ehre erwirbt, waren mir so gut wie verschlossen, und als einst der ehrwürdige Rector des Gymnasiums (Zimmermann) bei seiner Visitation meiner Klasse auch an mich kam und mir die eingreifendsten Vorstellungen über meinen Unfleiß machte, wie ich die Plage meiner Lehrer und der Kummer meiner Eltern sei, und was ich denn dächte, was einst aus mir werden sollte, und ich ihm zur Antwort gab, daß ich ein Chemiker werden wolle, da brach die Schule und der gute alte