34 Deutsche Rundschau.
hätten befruchten können. Langwierige, den Wohlstand der Bevölkerung untergrabende Kriege, äußerer politischer Druck hatten die Verödung unserer Universitäten nach sich gezogen und viele Jahre hindurch die Menschen mit quälenden Sorgen erfüllt und ihre Wünsche und Kräfte ganz anderen Richtungen zugelenkt; der nationale Geist hatte seine Freiheit und Unabhängigkeit in ideale Gebiete geflüchtet und in vieler Beziehung durch die Zerstörung des Autoritätsglaubens, namentlich in der Medicin und Philosophie segensreich gewirkt; allein er hatte in der Physiologie seine natürlichen Schranken durchbrochen und sich weit hinaus über die Erfahrung verirrt. Man hatte das Ziel der Wissenschaft und daß sie nur Werth habe, wenn sie dem Leben nütze, beinahe aus den Augen verloren, und man gefiel sich in einer idealen Welt, die mit der wirklichen in keinem Zusammenhang mehr stand.
Es galt beinahe für eine erniedrigende und einem Gebildeten unanständige Gesinnung, zu glauben, daß in dem Leibe eines lebendigen Wesens die rohen und gemeinen unorganischen Kräfte eine Rolle spielten. Man war mit dem Leben und allen seinen Aeußerungen und Bedingungen ganz im Reinen; die Naturerscheinungen waren mit sauberen schmucken Kleidern angethan, von geistreichen Männern zugeschnitten und zusammengemacht, und dies nannte man philosophische Forschung. Der Experimental-Unterricht in der Chemie war auf den Universitäten beinahe untergegangen und nur die hochgebildeten Pharmaceuten Klaproth, Hermstedt, Valentin Rose, Trommsdorf, Buchholz hatte er sich, freilich in einem anderen Gebiete, erhalten.
Ich erinnere mich, daß mir sehr viel später noch Professor Wurzer, der den Lehrstuhl der Chemie in Marburg bekleidete, eine alte hölzerne Tischschublade zeigte, in welcher das Vermögen wohnte, von drei zu drei Monaten Quecksilber zu erzeugen; er besaß einen Apparat, dessen Hauptbestandteil ein langer thönerner Pfeifenstiel War, mit dem er Sauerstoffgas in Stickstoff verwandelte; der poröse Pfeifenstiel Wurde nämlich zwischen Kohlen glühend gemacht und Sauerstoff durchgeleitet.
Chemische Laboratorien, in welchen Unterricht in der Analyse ertheilt wurde, bestanden damals nirgendwo; was man so nannte, waren eher Küchen, angefüllt mit allerlei Oefen und Geräthen zur Ausführung metallurgischer oder pharma- ceutischer Processe. Niemand verstand eigentlich die Analyse zu lehren.
Ich folgte später Kästner nach Erlangen, da er mir versprochen hatte, einige Mineralien mit mir zu analysiren; er wußte es aber leider selbst nicht, und niemals führte er eine Analyse mit mir aus. Der Vortheil, den ich durch meinen Aufenthalt in Bonn und Erlangen durch den Verkehr mit anderen Studirenden gewann, war das Bewußtsein meiner Unwissenheit in sehr vielen Dingen, die sie von der Schule mit auf die Universität brachten, und da mir die Chemie keine Arbeit machte, so gingen alle meine Anstrengungen in dem Nachholen der früher vernachlässigten Schulkenntnisse auf.
In Bonn und Erlangen nun vereinigte sich eine kleine Anzahl von Studirenden mit mir zu einem chemich - Physikalischen Vereine, in welchem jedes Mitglied abwechselnd einen Vortrag über die Fragen des Tages zu halten hatte, welcher natürlich nur in einem Berichte über die Gegenstände der Abhandlungen