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Deutsche Rundschau.
machte er kein Hehl. Seine Vorliebe galt der historischen Forschung, „der politischen Seite der Religion", der mittelalterlichen mehr als der alten Kirche. Er glaubte an die wirkliche Gegenwart, und aus seiner ascetischen Auffassung des in den evangelischen Räthen ausgesprochenen Ideals der Heiligkeit hatte sich ein an Novalis erinnernder Mariencultus entwickelt.
Aus Newman machten Froude's Anschauungen tiefen Eindruck. Alles großartig und edel Angelegte in der Menschennatur hat ihn stets empfänglich gefunden. Mit tiefernsten Fragen beschäftigt, gerieth er niemals in Einseitigkeit, verlor sich nicht in die Welt der Abstractionen. Ehrgeiz und weltliche Vergnügungen hielt er fern, aber seine Stimmung war natürlich heiter; seine Sinne schienen nicht weniger feingestimmt als sein Geist. Er war ein kühner Reiter, ein vertrauter Freund der Natur. Wenn Weinvorrath für den Keller des College zu besorgen war, mußte Newman entscheiden. Eine fröhliche, anregende Tischgesellschaft hat er stets gern um sich versammelt. Als Wellingtons Depeschen erschienen, Wurde er gefragt, was er darüber denke. „Denken!" erwiderte er, „man brennt vor Begierde, Soldat zu sein." Er war ein Künstler auf der Violine. Bis ins hohe Alter hat er das Bedürfniß gefühlt, sich in Tönen auszusprechen, die Musik mit begeistertem Verständniß geliebt H. Dazu kam ein eigenthümlicher, von Allen, die ihn gekannt haben, betonter Zug: Newman's Entwicklung war eine außerordentlich langsame. Aus seinen Oxforder Studienjahren ist nichts erhalten als das im Verein mit seinem Freund I. Bowden verfaßte Gedicht über die Bartholomäusnacht. Neben den Theologen las er Hume und Voltaire, allein er hat stets behauptet, daß Montaigne der Stärkere gewesen sei und mächtig auf den Gedankengang des modernen Lebens gewirkt habe. Von sich selbst sagt er, dieser Jahre gedenkend: „ich stand im Begriff, die intellectuellen über die sittlichen Vorzüge zu stellen. Ich wurde in der Richtung des eben herrschenden Liberalismus mit fortgezogen." Der allgemeine Eindruck war der, daß er zu den Anschauungen Whateley's neigte. Schon damals gingen die Ansichten über ihn Weit auseinander. Die Einen nennen ihn bestimmbar und aneignungsbedürftig; der Nekrolog der „Times" spricht von seinem unabhängigen, autokratischen Sinn. Ein Oxforder Studiengenosse äußerte: „hier ist Einer, der, so lange er schweigt, sich niemals zum Reden entschließen kann. Hat er einmal zu reden angefangen, so wird er niemals wieder schweigen können." Das Zünglein in der intellectuellen Wage zitterte bis 1827. Dann weckten zwei harte Schläge, Krankheit und Todesbotschasten, den jungen Mann, wie er sagt, aus seinem Traum. Im darauf folgenden Jahr 1828 begann er das Studium der Kirchenväter und der Concilien, das zur Entstehung seiner „Geschichte der Arianer des vierten Jahrhunderts" führte. Das Buch war erst begonnen, als die Revolution von 1830 ausbrach und, ein Jahr später, die Schlacht um die Reformbill in England geschlagen wurde. Was in Frankreich geschehen war, verurtheilte Newman aufs Bestimmteste als ungesetzlich und verderblich. Hätte er Goethe's 1806 gesprochene Worte gekannt, er würde sich dieselben damals angeeignet haben: „wenn Paulus sagt: gehorchet der Obrigkeit, denn sie ist Gottes Ordnung^, so spricht er eine ungeheure Cultur aus, die Wohl auf keinem srühern Wege als
i) Moseleh, „Kerawiseenees". A. Froude, „8vort stuäies on Zres-t