Die Berliner Theater.
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Würdigkeit dieser Gesellschaft, zu der ihm sein Talent und sein Glück den Weg öffnen, zu Grunde gehen. Aber statt uns zu Zeigen, wie das Gift des Genusses und der rücksichtslosen Selbstsucht einer an sich edlen Natur künstlich eingeimpst wird, wie es allmälig die besseren Regungen und schließlich das Talent des Unglücklichen selbst zersrißt, wie er sich vergeblich bemüht, den verderblichen Tropsen auszustoßen, und tragisch in diesem Kampfe zusammenbricht, führt uns Sudermann einen schon körperlich und geistig zerrütteten jungen Menschen vor, an dem weder etwas zu bessern noch zu verderben ist. Willy Janikow ist ein vollkommener Lump und ein Platenide dazu. Adah, die Frau eines Börsenspeculanten Barczinowski, hält ihn aus; am Tempel- hoser Ufer hat sie ihm ein kokettes Atelier und ein Absteigequartier für sich eingerichtet. Aber Willy ist ein verzogener, verdrießlicher Günstling; Frau Adah sängt an ihn zu langweilen, und seine Stimmung verbittert sich mehr und mehr, je deutlicher er empfindet, daß nicht nur seine Arbeitslust, sondern auch seine Schaffenskraft dahin ist. So tief steckt er in dem Sumpf der Faulheit, der Genußsucht und der Leichtfertigkeit, daß ihn seine Eltern, seine Freunde — brave schlichte Leute mit gesunden Gefühlen und Gedanken — nicht daraus retten können. Warum Frau Adah, eine Art moderner Messälina mit einem Stich in das Jüdische und Polnische, einen solchen Menschen nicht fallen läßt, wie sie sogar aus den wunderlichen Einsall kommt, ihn mit ihrer jungen, hübschen und reichen Nichte Kitty zu verheirathen, die ihrer Tante an innerer Nichtsnutzigkeit, wenn auch noch nicht an Erfahrung ebenbürtig ist, vermöchte ich nicht zu sagen. Als Mann einer reichen und schönen Frau wird er sich ja noch weniger um sie kümmern, als er es jetzt schon thut. Die Rechnung der klugen Frau hat ein um so schlimmeres Loch, als Willfts Mutter seine Liebschaft mit der Tante entdeckt hat und in ihrer Ehrlichkeit der Nichte darüber eine nicht mißzuverstehende Andeutung macht. Kitty braust zwar anfänglich zornig darüber aus, findet sich aber, als sie einmal in dem Atelier ihres Verlobten ist, leichten Sinnes in die Sache und denkt der Tante schon vor der Hochzeit ein Schnippchen zu schlagen. Leider ist dieser mühselige Aufbau, der drei Acte einnimmt, nichts als eine Arabeske, die Angel des Stückes steckt an einem andern Orte. In seiner besseren Zeit hat sich Willy der Tochter seines Lehrers, die nach dem Tode ihrer Eltern allein in der Welt steht, brüderlich angenommen. Seine Eltern ziehen sie wie ihre eigene Tochter aus; sie ist Kindergärtnerin und erfreut und erheitert wie Sonnenschein das bescheidene Haus. Ein wackrer Schulamtscandidat Kramer, der Willy als Genie vergöttert und eben eine Lobrede auf ihn auswendig lernt, ist sterblich in sie verliebt. Da er aber das Geständniß seiner Liebe nicht Wagt, wirbt Willy für ihn. Bei dieser Gelegenheit erkennt er zum ersten Male, wie hübsch Clärchen Fröhlich ist, und die Nichtswürdigkeit slüstert ihm zu, daß es ein besonderer Genuß sein müsse, die Reinheit und Unschuld zu verführen. Da er nach dem Dichter ein Don Juan ist, dem kein weibliches Herz widerstehen kann, und Clärchen ein Unschuldsengel, wie sie nur noch im Märchenlande zu finden sind, hypnotisirt er sie gleichsam mit seinem Blick und verführt sie, als er in der Nacht betrunken von einem Feste heimkehrt, ohne daß die kleine Unschuld sich sträubt oder gar um Hülse schreit, während nebenan in der Kammer der betrogene Schulamtscandidat über seiner Rede brütet. Gerade wie in Wildenbruch^s Versührungsscene ist auch hier, vom Standpunkte der künstlerischen Betrachtung, die Unwahrscheinlichkeit, ja die Unmöglichkeit des Vorfalls noch bedenklicher als seine Widerwärtigkeit. Tags darauf geht Willy mit heißem Kopf — „wenn nur die Gedanken nicht wären" — sonst aber in tadelloser Haltung zu seinem Verlobungsfeste mit Kitty; Clärchen zieht sich ihr Einsegnungskleid an und stürzt sich in den Canal- So kann sie als Wasserleiche in Willt/s Atelier getragen werden und seine lüsterne Plauderei mit der Braut jählings unterbrechen. Der gute Kramer braucht indessen nicht nach einer Waffe zu greifen, um den Schurken Zu tödten: ein Blutsturz raubt Willy das Leben — eben hat er zu dem Pinsel und der Palette gegriffen, um den Arm der Leiche zu malen. Die tollste Romantik mit der gemeinsten Natürlichkeit verquickt. Das Stück, wie man schon aus dem Umriß erkennt, ist nichts als die Darstellung einer Katastrophe; keiner