Tie Berliner Theater.
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deuten, daß die Thaten der Menschen oft genug ein „doppeltes Gesicht" haben, daß der Schein trügt. An einem einzelnen Falle Zeigt er es. Ein junges armes Mädchen, Lehrerin und Gesellschafterin, heirathet plötzlich einen alten kranken Grasen. Nach dem Tode ihres Gatten ist Gräfin Charlotte Mengers eine reiche vornehme Frau, aber selbstverständlich betrachtet sie die Welt als eine habsüchtige, ränkevolle Kokette. Nicht nur ihr Schwager, der leichtsinnige, immer verschuldete Lebemann Gras Balduin, der durch das Testament seines Bruders um den besseren Theil der Erbschaft gekommen ist, sondern auch ihr Jugendsreund, der Advokat Otto Drontheim, der eine Weile an > ihre Liebe zu ihm geglaubt hat. Die Aehnlichkeit des Vorwurss mit Paul Lindau's
Schauspiel „Gräfin Lea" ist offenbar, aber bei Blumenthal ist der Conflict ganz in das Heitere gewandt; Gras Balduin nimmt dankbar das Checkbuch, das ihm die großmüthige Schwägerin bietet, an und benutzt es ausreichend, da die unerwartete Ankunst seiner Tochter aus der Pension ihn zu allerlei Ausgaben nöthigt, und Gräfin Charlotte ist sich ihrer Unschuld und Uneigenuützigkeit so wohl bewußt, daß ihre seelische Heiterkeit durch die Borurtheile der Andern gegen sie auch nicht mit einem Hauch getrübt wird. Dem Jugendsreund erzählt sie, nicht zu ihrer Rechtfertigung, sondern zu seiner Beschämung, die Geschichte ihrer Heirath. Mit eigener Lebensgefahr hat der alte Graf ein Kind, das durch ihre Nachlässigkeit verunglückt war, aus dem Wasser gerettet. In seiner Krankheit hat sie ihn gepflegt, und da er sich von ihr nicht mehr trennen, ihrer Hülse nicht mehr entbehren konnte, hat sie ihm das Opfer ihrer Jugend und ihrer Liebe gebracht und ist seine Frau geworden. Der dramatische Faden ist dünn und schwach, der Gegensatz der Figuren beruht nicht aus einer innerlichen Verschiedenheit, sondern aus einem äußerlichen Mißverständniß; die humoristischen Wendungen und Einfälle, das gefällige Geplauder, die munteren, durch drastische Züge bewegten Scenen bestreiten die Kosten der Unterhaltung. Wir befinden uns in lustiger , Gesellschaft, in behaglichen Räumen, unter Menschen, mit denen man gern und zwanglos
verkehrt. Der Eindruck ist nicht stark, aber anmuthend, und mehr als gute Laune und ein zufriedenes Lächeln verlangt der Verfasser nicht von uns.
Hugo Lubliner will in seinem Schauspiel „Im Spiegel" höher hinaus. Sein Stück soll einem Theil der großstädtischen Gesellschaft einen Spiegel Vorhalten, in dem sie sich in ihrer ganzen Häßlichkeit und Nichtigkeit erkennen kann. Eifrig schwingt er die Geißel gegen die realistische Literatur, gegen Zola und Tolstoi, Ibsen und Strindberg. In zwei Figuren, einem älteren und jüngeren Schriftsteller, sucht er ihre deutschen Anempsinder und Nachahmer lächerlich zu machen. Seinem Zorn wird kein Verständiger die Berechtigung absprechen, nur daß nicht jeder Zorn schon einen guten Vers macht. Die schwächliche Handlung des Stückes läuft neben den satirischen Zügen und Ausfällen ohne innigere Verbindung her. Ein reicher Mann, Georg Arenberg, hat eine Gesellschaft von Hausfreunden und Schmarotzern um sich versammelt; er schwärmt für Berühmtheiten und ist ein begeisterter Anhänger des Realismus. In seiner Weise bemüht er sich auch, das realistische Programm im Leben zu verwirklichen. Er hat seine Liebschaften und Abenteuer und vernachlässigt seine brave und treue Frau Clotilde. Nach dem Stil der alten Comödie wird er durch die Eifersucht geheilt. Ein Hausfreund, der Maler Romberg, der Redner und Philosoph aus den Dumas'schen Schauspielen, und eine Haussreundin Edith Laudeck, eine geist- reiche junge wohlhabende Wittwe, unternehmen die Kur, die über Erwarten leicht und glücklich geräth. Eine kraftvolle Strafpredigt Romberg's erschüttert den leichtsinnigen Arenberg, dem der Realismus nur angeflogen ist, bis ins Innerste; aus dem Schwärmer für „freie Liebe" wird ein Othello im Frack und weißer Binde. Nun muß Zur Beruhigung Clotildens noch ein thörichtes Mißverständniß, daß ihr Gatte ein Liebes- verhältniß zu Edith unterhalte, aufgeklärt werden, bis Alles sich wieder ins Grade rückt und neben dem versöhnten Ehepaare zwei Brautpaare, das ernste, der Maler und die Wittwe, das lustige, ein Architekt und die Tochter eines realistischen Schriftstellers, auf der Bühne stehen. Bei der Harmlosigkeit des Stoffes und der noch harm- ' loseren Ausführung nimmt sich Lubliner^s Absicht um so wunderlicher aus. Mit
Deutschs Rundschau. XVII, 4. 9