Issue 
(1891) 66
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Politische Rundschau

Berlin, Mitte December.

Der 1. Januar 1891 bezeichnet den Beginn eines bedeutsamen Abschnittes der socialpolitischen Gesetzgebung in Deutschland, da an diesem Tage das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz in Kraft tritt. Von diesem Tage ab erhalt jeder Arbeiter und jede Arbeiterin, sobald sie arbeitsunfähig werden auch abgesehen von der Unfallversicherung vom Staate eine Invalidenrente. Ebenso wird jedem Arbeiter und jeder Arbeiterin, gleichviel ob sie noch arbeitsfähig sind oder nicht, sobald sie das siebzigste Lebensjahr erreicht haben, vom Staate eine Altersrente gewährt- Mag auch der Streit der Meinungen über das Gesetz selbst keineswegs zum Abschlüsse gebracht sein, so muß eben abgewartet werden, wie es sich in der Praxis gestalten wird. Immerhin erscheint bemerkenswerth, daß der Abgeordnete Bebel im deutschen Reichs­tage am 9. December bei der ersten Berathung des Etats erklärte, die deutsche Socialdemokratie sei keine directe Feindin des Gesetzes; sie meine zwar, daß das darin Gewährte zu gering wäre, im Vergleiche mit den verlangten Opfern, begrüße jedoch das Gesetz als einen ersten Schritt auf dem weiten socialen Gebiete. Auch verdient hervorgehoben zu werden, wie in anderen Staaten gleichfalls socialpolitische Reformen geplant werden. Insbesondere wird die neugewählte italienische Deputirten- kammer derartige Reformvorschläge zu prüfen haben.

Die allgemeinen Wahlen für die italienische Kammer haben zu einem glänzenden Siege des Ministeriums Crispi geführt; der Confeilprästdent selbst ist in nicht weniger als vier Wahlkreisen: Palernio, Messina, Syracus und Girgenti als Sieger aus dem Wahlkampfe hervorgegangeu. Da die radicalen Widersacher der Regierung die Be­kämpfung der Tripelallianz als Losung ausgegeben hatten, bedeutet die Niederlage der von Cavallotti, Jmbriani und Bovio geführten Partei zugleich einen nicht zu unter­schätzenden Erfolg des europäischen Friedensbündnisses. Ueberdies war noch in letzter Stunde im radicalen Feldlager ein heftiger Zwist entstanden, als Cavallotti im Gegen­sätze zu Bovio und Jmbriani die von dem naturalisirten Franzosen Cernuschi zur Bekämpfung der Tripelallianz durch die Wahlagitation angebotenen hunderttausend Francs annahm, während die öffentliche Meinung in Italien in dieser vom Auslande her gewährten Geldunterstützung mit Recht eine durchaus unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes erblickte. Kaum hatten die Radicalen alle ihre pomphaften Ankündigungen des unmittelbar bevorstehenden Sturzes Crispüs und des angeblich daraus resultirenden Zusammenbruches der Tripelallianz durch den über­wältigenden Sieg der Regierung in drastischer Weise widerlegt gesehen, als sie in Uebereinstimmung mit den wenigen Parteigängern der ehemaligen Consortoria vom Schlage Bonghüs versicherten, der Conseilpräsident Crispi werde, weit entfernt, in der neuen Deputirtenkammer über eine geschlossene Regierungsmehrheit zu verfügen, vielmehr derGefangene" dieser aus den verschiedenartigsten Elementen zusammen­gesetzten Majorität sein. Die klerikalen Organe wiederum, die, um dem verhaßten