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Deutsche Rundschau.
liegt ein Buch vor, würdig des kaiserlichen Vertrauens, würdig des Verfassers und würdig der Wissenschaft, zu deren hervorragendsten Vertretern er gehört.
Unsere Leser kennen Paul Güßseldt. Sie sind, seit Jahren, in der bevorzugten Lage gewesen, ihm als die Ersten aus seinen kühnen Bergbesteigungen, aus seinem Zuge nach Westasrika, seinen Forschungsreisen in den Andes zu folgen. Sie wissen, daß er, ein Mann der Wissenschaft, zugleich in eminentem Sinn eine künstlerische Natur ist, und daß jedes seiner Werke, wiewohl aus wissenschaftlichem Untergrund ruhend, dennoch in seiner Art als ein Kunstwerk gelten darf. „Wer an einem Reisenden nichts Anderes zu loben weiß als seine wissenschaftliche Gründlichkeit, der ertheilt demselben ein sehr "
einseitiges Lob," heißt es einmal in dem vorliegenden Buch; und von den Reisen selbst wird hinzugesügt, daß „deren Ausnutzung ebenso sehr an künstlerisches Empfinden und Gestalten gebunden ist wie an wissenschaftliches Erkennen."
Güßseldt's Stil, immer wohl erwogen und sachlich, erhebt sich doch überall da, wo die poetische Schilderung an die Stelle der gelehrten Auseinandersetzung tritt, zu hoher Schönheit des Ausdrucks, der nie wortreich wird, aber in seinem seinen Maß zuweilen musikalisch bewegt erscheint und also stimmt. Diese Wirkung ist vielleicht unbewußt und sicher ungesucht: ganz und gar entspricht und entspringt sie seinem Empfinden. Er meint, daß es mit der Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur gehe wie mit dem Hören guter Musik, und wundert sich nicht darüber, daß es Leute gibt, die beim Anblick einer Hochgebirgslandschast ungerührt bleiben, da es doch auch Leute gebe, „welche eine Beethoven'sche Symphonie gleichgültig über sich ergehen lassen". Aber nicht minder rein und reich als der Stimmungsgehalt ist die Plastik seines Stils. Er findet zwar, daß der Eindruck einer Landschaft sich mit nackten Worten nicht erschöpfen laßt. „Weniger noch," sagt er, „als das Werk des Künstlers sich ganz mit den Vorstellungen seiner Seele deckt, weniger noch deckt sich die Beschreibung des künstlerisch empfindenden Reisenden mit dem Bilde, welches beim Betrachten der Land- I
schüft in ihm zu Stande kam." Dennoch mag es Wenige geben, welche Landschasts- bilder mit solcher Deutlichkeit vor die Seele des Lesers zu stellen wüßten, wie Güßseldt : für die großen und gewaltigen, oder die lieblichen und gefälligen Züge, die den Blick fesseln oder überwältigen, für Formen, Farben, Licht und Schatten in ihren leisesten Modulationen, Unterschieden und Uebergängen sucht er so lange nach dem adäquaten Wort, bis er es gefunden, und wo das unmittelbare Wort versagt- oder zu abstract erscheint, da greift er zum Vergleich oder zum Kontrast. Die weiten stillen Fluthen des Hardangersjord mit ihren Eilanden bringt er uns sofort zu greifbarer Anschaulichkeit, indem er an den Lago Maggiore und die Borromäischen Inseln erinnert. Die heimathlichen Vorstellungen vom Main und aus Thüringen beleben und erleuchten uns plötzlich den nordischen Glommenfluß und das Glommenthal. Die Einfahrt in einen norwegischen Hafen mit ihrer friedlichen Ruhe wird der Landung in Alexandria gegenübergestellt, bunt, laut, lärmend, sinnverwirrend. Und über welch' ein weites Gebiet von Aehnlichkeiten und Gegensätzen verfügt dieser Reisende, der die Kontinente beider Welten gesehen hat und auf den man in seiner Besonderheit wohl anwenden darf, was Platen ganz allgemein vom Dichter sagt:
Sein Geist, des Proteus Ebenbild, ist tausendfach gelaunet,
Und lockt der Sprache Zierden ab, daß alle Welt erstaunet.
Man kann sich denken, daß es ohne Zahlen in einem solchen Werke nicht angeht. )
Aber auch sie, die Zahl, weiß er mit concretem Leben zu umkleiden, bis sie für uns eine sichtbare Wirklichkeit wird. Zum Beispiel: in der geographischen Skizze Norwegens, die der eigentlichen Reisebeschreibung im zweiten Capitel vorangeht, heißt es:
„Die skandinavische Halbinsel übertrifft an Areal jedes andere Land im außerrussischen Europa; ferner ist sie so langgestreckt, daß" . . . und nun kommen Zahlen. Doch diese machen auf den, der an ihre Sprache nicht gewöhnt ist, nicht halb so viel Eindruck, wie die nun folgende Bemerkung: daß die nördlichste Stadt Norwegens, Hammersest, und die südlichste. Christiansand, so weit von einander entfernt liegen, ,
wie Berlin von Barcelona. Das versteht Jeder, und nun haben wir für die lang-