Issue 
(1891) 66
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Literarische Rundschau.

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gestreckte Configuration der Halbinsel ein Maß und einen Ausdruck, der im Gedächtniß hastet. Ebenso, wo er von der Bodencultur des Landes spricht.Etwa 240 000 gkm, d. h. 44 Procent von dem Areal des Deutschen Reiches, sind Wüste, und nur 88 000 cchm dienen dem Ruhen und der Ernährung des Volkes." Die Beziehung aus das Deutsche Reich, von dessen Umsang wir Alle doch so ziemlich einen Begriff haben, gibt den Zahlen eine Substanz und der Einbildungskraft ein Substrat, wenn es weiter heißt, daß alles bebaute Land in Norwegennur ein Brnchtheil jener weiten, mit Schnee, Sümpfen, Mooren, Flechten und Geröll bedeckten Hochgefilde, tz welche der menschlichen Existenz verneinend gegenüberstehen." Nachdem wir hiermit

eine Anschauung der Bodenverhältnisse gewonnen haben, stellt uns ein anderes Apercu die Bevölkerung vors Auge.So wie London binnen Kurzem die Einwohnerzahl Schwedens erreicht haben wird, so Berlin diejenige Norwegens."

Durch ein ähnliches Verfahren gewinnt die wissenschaftliche Definition, die doch immer bestimmte Voraussetzungen macht, die Gegenständlichkeit eines Bildes, welches ohne Weiteres auch dem ungeschulten Verständniß zugänglich ist. Es soll die Ver­schiedenheit der Alpengletscher und der des norwegischen Fjelds dargethan und aus ihrem verschiedenen Ernührungsgebiet erläutert werden:Die vielen, demselben Hoch­gefilde augehörigen Gletscher gleichen den zahlreichen Kindern einer Familie, deren jedem ein schmales Erbtheil zugesallen ist; die Alpengletscher, wie Aletsch, Mer de Glace, Roseg, sind echte granäs soigneurs, welche den ganzen Besitz der Familie in sich vereinigen. Mit ihrer vornehmen Ruhe und ihrem Reichthum können die nor­wegischen Gletscher nicht in Vergleich treten. Sie theilen nur das mit jenen, was auch der Reiche und Vornehme mit dem Armen und Gemeinen theilt: das Gemein­same im Werden und im Vergehen." Nirgends tritt die Begabung GüßfeldCs, Ab- stractionen der Wissenschaft in anschauliche Bilder zu übersetzen, stärker hervor, als in dem Capitel, welches dem Klima Norwegens gewidmet ist. Der Verfasser stellt es dem Leser frei, dies Capitel zu überschlagen; aber wir würden es Keinem rathen. Mancher, dem die Wetterkarten in unseren Zeitungen mit ihren Isobaren, barometrischen Maxima und Minima und den die Richtung und Stärke des Windes andeutenden Pfeilen und Häkchen, wie Keilschrift und Hieroglyphen waren, wird sie besser verstehen, wenn er Güßfeldt's überaus klare Darstellung gelesen hat. Wenn er, aus dem Bei­spiele Norwegens, gelernt hat, welche Factoren Zusammenwirken, um das hervorzu­bringen was wir Klima nennen: wieder Begriff des Klimas aus dem Begriff der Witterung, und letzterer aus der physiologischen Beeinflussung des Menschen durch den gerade herrschenden Zustand des Lustmeeres" entstanden ist. Es sind nicht sowohl die Elemente dieser Definition, die sich in jedem physikalischen Handbuch finden und that- sächlich von Güßfeldt vorhandenen Werken entnommen sind, als vielmehr deren An­wendung und Aufbau, durch welche die Zahlen und Begriffe lebendige Dinge für uns werden.

Wenn für einen Reisenden, wie Güßfeldt, der Reiseplan selber unter allen Um­ständen nicht Etwas sein kann, das vom Zufall dictirt wird, sondern das Ergeb- niß einer Arbeit nach wissenschaftlichen und ästhetischen Gesichtspunkten ist, so muß das von ihm, einem genauen Kenner Norwegens, entworfene Programm, welches der kaiserlichen Nordlandssahrt zu Grunde lag, ein besonderes und erhöhtes Interesse ^ haben. Es strebte darnach,von allen Eigentümlichkeiten der norwegischen Land-

^ schast durch Einzelbilder Kenntniß zu geben; auch wurde Bedacht genommen, daß

durch häufig eingeschaltete Landausflüge die Monotonie einer Seefahrt ausgeschlossen blieb. Bei der ausgesprochenen Vorliebe des Kaisers für das Seeleben und alles Seemännische war freilich in dieser Beziehung wenig zu befürchten." Sogleich, als Norwegen in Sicht war, ward aus derHohenzollern", die den deutschen Kaiser trug, die Kaiserstandarte eingeholt: und aus dem schönen Schiff, das zum Thcil nach seinen Anordnungen eingerichtet war und in einer Gesellschaft, die er selber ausgewählt, verlebte der Herrscher ungetrübt heitere Tage des Ausruhens, der Er- ' holung und des Naturgenusses, deren Abglanz aus dem Buche GüßfeldCs ruht.