Issue 
(1891) 66
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Literarische Rundschau.

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herrlichen Märztagen am sicilianischen Gestade glichen. An einem solchen Tage von unbeschreiblicher Schönheit passirte die kaiserlicheHohenzollern" den Polarkreis; aber als sie sich dem Nordcap, dem äußersten Ziel der Reise nahte, schlug das Wetter um, und hoher Seegang bei starkem Südost vereitelte den Wunsch und die Hoffnung des Kaisers, diesen nördlichsten Punkt Europas zu besteigen. Es war der Morgen des 18. Juli. Der Befehl zum Wenden ward gegeben.Jener Morgen," sagt der Historiograph dieser Reise,wird mir unvergeßlich bleiben durch das feierlich Ernste der erhaltenen Eindrücke. Der Himmel war grau, der Horizont im Norden und Osten zeigte einen lichten gelben Streisen, hinter den darüber gelagerten Wolken verbarg sich die Sonne . . . Nichts Anderes war zu sehen als eine lang hingezogene Felswand mit nahezu horizontaler Profillinie, nur einzelne Felsnasen zeigend, in Folge per- spectivischer Wirkungen; ein weites Meer, fremdartig durch seine Jnsellosigkeit, und ein Himmel, an dem zur Mitternacht die Sonne stand . . ." Plötzlich brach der Kaiser das Schweigen mit den Worten:Heut ist der Tag der Kriegserklärung." Lange stand er noch, in die Ferne schauend, wo das Nordcap allmälig seinen Blicken wieder entschwand.Kein Wort des Unmuths kam über seine Lippen ... Es ge­nügte dem Kaiser die Thatsache, daß seine Wünsche durch höhere, vom menschlichen Willen unabhängige Mächte gekreuzt wurden."

Auch dies war einer von den Momenten, in welchen wie der Kaiser es so schön und so wahr ausgesprochen hat der Mensch vor der Hoheit und Größe der NaturEinkehr in sich selbst" halten und vonSelbstüberschätzungen" geheilt werden kann; und hierin nicht am wenigsten, in ihren charakter-bildenden Einflüssen, möchten wir, mit dem Verfasser dieses Buches, den ethischen Werth der Reisen erkennen. Wenn, in seinem Sinn, das Gelingen, selbst einer zu wissenschaftlichen Zwecken unter­nommenen Reise, durchaus an künstlerische Voraussetzungen gebunden ist, so ist sie ihm darum doch nichtsdestoweniger eine sehr ernste Arbeit mit bedeutenden Anforderungen an den Menschen: nicht nur Eindrücke soll er in sich ausnehmen, er soll gleichzeitig auch handeln, d. h. sich körperlich und geistig anstrengen. Er soll nicht wie ein Zu­schauer im Theater sitzen, der die wechselnden Semen an sich vorüberziehen läßt: er soll, was er genießen will, sich selber verdienen und erobern, und wenn es sein muß, auch entsagen lernen. Wir gestehen, daß von den mancherlei hier mitgetheilten Zügen aus dem intimen Leben des Kaisers uns keiner bemerkenswerter erschienen ist, als dieser, wo wir ihn heiter und gefaßt von einem unerfüllten Wunsche scheiden sehen.

Kaiser Wilhelm's II. Reisen nach Norwegen" haben allen Anspruch daraus, ein Lieblingsbuch des deutschen Publicums zu werden. Es ist im besten Verstände des Wortes populär geschrieben; aber es wird niemals trivial, sondern hält sich immer in einer gewissen Höhe des Gedankens und der Darstellung. Es setzt ernste Leser voraus, solche, die mitdenken, Mitarbeiten wollen: die dann aber auch, wie die Rei­senden selber, durch bleibenden Gewinn belohnt werden.

Geistvolle Zeichnungen des Landschasts- und Historienmalers Carl Saltzmann, in reicher Anzahl und vorzüglicher Holzschnitt-Ausführung schmiegen sich dem Text als Vignetten oder in Form kleinerer Bilder an, und einundzwanzig Heliogravüren ver­gegenwärtigen die großen Momente der Reise. Die beigegebenen Karten von L. van der Vecht werden Jedem zu besserer Orientirung sehr willkommen sein. Die Her­stellung des Buches geschah durch die Reichsdruckerei, und die Verlagshandlung hat ihm eine Ausstattung zu Theil werden lassen, wie eine solche Publication sie verdient.

ck. R.