Issue 
(1891) 66
Page
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Literarische Rundschau.

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die glänzenden Stücke erkennen, den Spuren des armen längst verendeten Wildes nach­gehen und seine verlorenen Reichthümer, aus die Niemand-mehr Ansprüche hat, dem Volke darbieten. Lenz besaß eine Sprache, deren Melodie uns zuweilen entzückt, tiese Gedanken, die ein reiches inneres Leben verrathen, und die wunderbare Gabe, uns in die Stimmung des Momentes zu versetzen, die Goethe eigen war. Eine Anzahl von Lenz' Versen, wenn Goethe sie sich mit eigener Hand vielleicht einst abgeschrieben hätte und über ihren Ursprung sonst nichts bekannt wäre, würden wir unbedenklich Goethe selbst zuschreiben, wie bei den Sesenheimer Gedichten lange ja geschehen ist. Zarter, inniger, lieblicher können Gesühle dieser Art nicht gesagt werden. Es trägt sie jener sanfte Sturm von Leidenschaft, den jeder Leser hier in sich selbst empfindet, dessen Geheimniß bisher aber Goethe allein zugeschrieben ward.

O, daß er kehrte,

O, daß er käme!

Mit aller seiner Bangigkeit,

Mit aller seiner Seligkeit!

Drohte der Himmel,

Die Kühnheit zu rächen Und schiene die Erde Mit mir zu brechen:

Heilige! Einzige!

Ach, an dies Herz Preß ich dich, Himmel!

Und springe mit Freuden In endlosen Schmerz!

Er redet den Moment des Glückes an, wo er der Geliebten begegnete. Das Gedicht ist wie aus Goethe's Darmstädter Zeit. Andere erinnern an Hölderlin's marmorreine Diction und an die Mischung von Zartheit und Leidenschaft, die dieses unglückliche Opfer übermäßiger dichterischer Kraft beseelte, dem neben der Gabe der Gottheit nicht auch die verliehen war, festen Schrittes aus irdischen Wegen zu wandeln.

Weinhold's Ausgabe ist mit großer Sorgfalt gemacht. Ein angehängter Apparat gibt Auskunft über die einzelnen Stücke. Ein Lebensabriß eröffnet das Buch.

Den, der die Zeiten nicht kennt, muß die Planlosigkeit dieses Daseins in Er­staunen setzen. Ein Mensch, der nicht weiß, was er will, aber dessen nächsten Freunden dieses bloße Sichumhertreiben durchaus natürlich erscheint. Ununterbrochene Leiden­schaften zu Frauen und Mädchen, Lei fortwährendem Verschwinden und Wiederaustauchen. Er flog wie ein verwehtes Blatt hoch in den Lüften und lag dann wieder flügellos auf dem feuchten Boden. Eine ähnliche Natur haben wir in Moriz vor uns. Die Jahrzehnte vor der französischen Revolution brachten solche Menschen hervor, die, keinem Zustand gewachsen, aus einer Hand in die andere gehend, immer doch wieder Gönner fanden, die es neu mit ihnen versuchten. Heute wird über den Einzelnen aus dem Markte des Lebens genauer Buch geführt, und wer einmal eine entscheidende Dummheit gemacht hat, vor dem hütet sich bald Jedermann. Damals fehlte die Controle. Es gab mehr Stellungen im Leben, die ohne strenge Arbeit ehrenvolle Unterkunft ge­währten. Der junge Herr von Adel ging nicht ohne Hofmeister auf die Universität: die Welt war voll von Hofmeistern, die etwa den Abböes der katholischen Welt ent­sprachen. Man vergleiche auch Knebel's Lebenslauf. Liebenswürdige Leute, die von einem Erntefest zum anderen eingeladen, sich mit Ackern und Säen nie zu beschäftigen brauchten.

Lenz dürfte heute schwerlich noch aufrichtige Bewunderer finden. Er gehört bei­nahe völlig schon unter das nur interessante historische Material.

Deutsche Rundschau. XVII, 4.

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