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Deutsche Rundschau.
Schwind und Mörike.
Briefwechsel zwischen Moritz von Schwind und Eduard Mörike. Mitgetheilt von
I. Bächtold. Leipzig, Arthur Seemann, Verlag des literarischen Jahresberichtes. 1890.
Jedem Literatursreunde ist die Wendung offenbar, mit der unser Publicum der Romantik sich wieder zuzuneigen begonnen hat. Wir sehen das Erscheinen dieser unschuldigen Briese als einen neuen Beweis dafür an. Zwei ältere Herren, ein Maler und ein Dichter, die das Bedürsniß haben, sich gegenseitig aus das Liebenswürdigste auszusprechen, wie großes Wohlgefallen ihrer beider Werke ihnen erregen. Sie scheinen in einem Lande zu leben, in dem die Eisenbahnen noch nicht erfunden sind. Zu Muthe war ihnen jedenfalls so, als sei dergleichen entbehrlich. Mörike machte am liebsten Wohl seine Reisen mit dem Regenschirm über der Schulter, und Schwind seine Hochzeitsreise wenigstens in einem leichten Einspänner quer üben Land. Ihre Muse wohnte nicht in Hotels, sondern logirte bei guten Freunden oder in Pfarrhäusern; ihre Mythologie trug die Kleider eines lustigen Polterabends; Flöte, Guitarre und eine Geige sind ihr Orchester. Es fängt dem deutschen Volke an wieder aufzudämmern, daß uns die Idylle in ihrer beruhigenden Abendstimmung nicht verloren gehen dürfe. Nach dreißigjähriger erfolgreicher ungeheurer Anspannung der das äußere Dasein umgestaltenden Kräfte sehnt man sich neben dem ewigen Sturme des öffentlichen Lebens nach friedlicheren Tagen.
Mörike war ein Dichter, der nicht mit mächtiger Sprache das Geräusch der Welt übertönte, um sich Gehör zu verschaffen, sondern der Stille um sich her verlangte. Bei feiertäglicher Ruhe sangen die seinen Saiten seines Spieles erst zu tönen an. Die Ereignisse, die er beschreibt, die Menschen, die er austreten läßt, gehören in das alte Reich, in dem man noch nichts von den Massen wußte. Diese Zeiten lassen sich nicht wieder jung machen und scheinen verloren zu sein. Sie werden auch von Niemandem zurückersehnt. Niemand aber wird bestreiten, daß sie einmal dagewesen sind, und daß, den Blick aus sie zurückzulenken, erfreulich, beruhigend und erfrischend sei. Es sind Kinderzeiten unendlichen Inhaltes. Man betrachtet ihren Reichthum wie altväterisch gefaßten kostbaren Schmuck, den man Sonntags einmal aus dem Kästchen nimmt, nicht um ihn anzulegen, sondern um ihn am Tageslicht funkeln zu lassen und dann wieder einzuschließen.
Die dichtende und bildende Kunst der Romantik findet als anmuthiges Denkmal einer vergangenen Epoche heute schon größere Verbreitung und Anerkennung als damals, wo sie lebend wirkte, der Kreis jedoch, an den man sich wandte, aus nur Wenigen bestand. Wie unbekannt war selbst Uhland in den Tagen, als er dichtete. In einem Briese Jacob Grimm's findet sich, wie dieser einmal, von Tübingen absahrend, mit einigen Schulmeistern im Postwagen saß, von denen keiner von Uhland wußte. Der Proceß, den man mit „ins Volk dringen" bezeichnet, ist ein sehr langsamer. Es handelt sich nicht darum, daß den Leuten von Jemand einmal begeistert gesprochen werde, sondern daß ein Mann ihnen ins Gedächtniß dringe und, wie mit unverlöschlicher Tinte in die tägliche Wäsche gezeichnet, unter allen Umständen nun darin haften bleibe. Wir zweifeln nicht daran, daß die Zahl Derer, welche heute Mörike zu schätzen wissen, bei Weitem größer sei als zu den Zeiten, wo seine Dichtungen frisch herauskamen. Aus Mörike's wie aus Schwinde Briefen klingt immer eine leise Resignation heraus, eine unausgesprochene Sehnsucht nach stärkerer Resonanz im Volke. Darüber würden sie heute nicht zu klagen haben. Ganz Deutschland kennt sie Im Norden und im Süden stehen sie als anerkannte Meister da, und werden auch da, wo man ihre Werke seltener vor Augen hat, mit der Ehrfurcht genannt, mit der unsere Zeit jeden Lebenslauf betrachtet, der in klaren Wellen innerhalb reiner Grenzen fein Ziel erreichte.