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Deutsche Rundschau.
auch in der letzten Auslage als ungläubig bekannt. Doch wüßte ich freilich nicht, wer anders die liebenswürdige zarte Gestalt hätte arbeiten können.
W. schließt seine Bemerkungen mit dem Ausspruche, bei keinem andern Künstler seien die Handzeichnungen noch so wenig erlesen, als bei Michelangelo. Wer diese Arbeit einmal übernehme, werde reichen Lohn finden! Warum zögert er, sie zu thnn? Warum unterzieht er sich nicht der Ausgabe, „aus der wüsten Masse die reine Gestalt des Künstlers hervortreten zu lassen"? Es fehlt ihm nichts dazu. Er sollte ans Werk gehen. Er erinnere sich der Wirkung, welche Ephrussi's Buch über die Zeichnungen Dürer's gehabt hat. Was W. uns in seinen „Jugendwerken des Michelangelo" hier gibt, sind persönliche Bemerkungen, mit denen er ein oder zwei Dutzend Leute anredet, die seinen Vermuthungen zu folgen im Stande wären. Seine Publication der Handzeichnungen Michelangelos würde, richtig abgesaßt, viele verständige und dankbare Leser finden.
Ein Sonett Carducci's.
Dich lieb' ich, frommer Ochse, den so milde Gewalt'ge Kraft umhaucht. Wie friedensreich,
Erhaben ruhig, einem Denkmal gleich,
Siehst du den Acker an und die Gefilde.
Wie du, dem schweren Joche gern dich beugend,
Im Dienst des Menschen ernst gehorsam gehst!
Der stachelt dich und stößt: du aber drehst Das Haupt, blickst ihn geduldig an und schweigend.
Aus deinen dunkeln Nüstern strömt beflügelt Wie Dampf dein Geist; dein muhendes Gebrüll Dringt als ein Hymnus zu den reinen Lüften.
In deinem klaren Auge aber spiegelt ^
Das grüne Land sich; in ihm ruhen still Der Himmel schweigend, und die weiten Triften.
Ich kann dies Gedicht nicht lesen ohne tief bewegt zu sein. Zu seinem Lobe ließe sich sagen, was Goethe von Homer sagt: er gebe die Dinge, die anderen Dichter nur den Effect der Dinge. Kein neuerer Dichter ist der Anschauung des Alterthums so nahe gekommen als Carducci. Auch die unschuldige Freude am Lobe der Mitwelt, das er in den literarischen Zugaben seiner Dichtungen gern wieder mittheilt, hat etwas Antikes. Er schickt seine Gedichte wie ein Vater seine Kinder in die Welt hinaus, ihre günstigen Schicksale erfüllen ihn mit Stolz und Zufriedenheit, und er spricht gern davon.
H. 0.