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Deutsche Rundschau.
übrige Welt noch wenig aus ihm machte. Nun, da sein Ruhm unter allen deutsch redenden Stämmen fest steht und jeder Ablauf der Zeit ihn nur erhöhen kann, ist es ein löblicher Versuch, diesem großen Dichter auch die fremden Nationen zu gewinnen; und wir trauen unter allen den Engländern Sinn für Keller's Humor und tiefes Gemüth zu. Wer er sei, hat man auch dort längst in engeren, mit der deutschen Literatur vertrauten Kreisen begriffen; wir sind nun gespannt darauf, wie sich das weitere Publikum zu dieser Erscheinung stellen wird. Eine seine Würdigung seiner Persönlichkeit und Werke findet sich in dem einleitenden „Memoir", in welchem die Uebersetzerin zeigt, wie genau sie, bis in die kleinsten Züge seines Lebens und Schaffens, den Dichter studirt hat, wie congenial ihm sie fühlt; und ein vorzügliches Porträt, mit dem Facsimile seiner Unterschrift aus dem Jahr 1886 ziert den starken, stattlichen Band, den unsere wärmsten Wünsche begleiten.
Cotta'scher Musen Almanach für das Jahr 1891. Herausgegeben von Otto Braun. Mit sechs Kunstbeilagen. Stuttgart, I. G. Cotta'sche Buchhandlung, Nachfolger. 1891.
Wir begrüßen das Wiederaufleben und Wiedererscheinen des Musen - Almanachs mit nicht geringer Freude: denn es ist uns ein Zeichen, daß die Musen uns nicht ganz verlassen, daß sie noch immer ein Heim unter uns haben und auf ein freundliches Willkommen rechnen dürfen in den Kreisen deutscher Männer und Frauen, die sicher zu den Besten gehören, wie die Dichter selbst, die in diesem zierlichen Bändchen vereinigt sind. Wenn es dankbar anerkannt werden muß, daß die Cotta'sche Buchhandlung, auch unter ihrem Nachfolger, sich treu bekennt zu den alten, bis auf unsere Classiker hinauf reichenden Traditionen, welche den Ruhm ihres Hauses bilden, so ist es unzweifelhaft das Verdienst Otto Braun's, des langjährigen Leiters der „Allgemeinen Zeitung" und heute noch ihrer „Beilage", mit feinem Geschmack und kundiger Hand diese Anthologie neuester deutscher Dichtung gesammelt und geordnet zu haben, welche geräuschlos in den literarischen Wirrwarr unserer Tage tritt, aber wohl geeignet ist, den idealeren Bestrebungen derselben einen festeren Halt zu geben. Die einfache Thatsache, daß so viel Schönes uns in so würdiger Weise geboten werden konnte, bekräftigt uns in dem Glauben, daß die Zeit der Poesie — das, was wir Alten so genannt haben — keineswegs vorüber, wie denn eine ganze Schar von Jüngeren dafür bürgt, daß sie, stets anknüpfend an das gute Alte, ihre neuen Wege wandeln wird. Keine der poetischen Gattungen fehlt in diesem Almanach, und' jede ist durch Ausgezeichnetes vertreten; und wenn wir unter so viel Trefflichem Einzelnes hervorheben dürften, so möchten es etwa die wundervollen BeiträgesKon- radin's Knappe, Fluth und Ebbe, Alle) von C o n - rad Ferdinand Meyer, die im Tone der echten Elegie gehaltenen Gedichte vom Boden
see von Hermann Lingg, die graziösen und doch " so gewichtigen Sinngedichte von Ludwig Fulda sein. Doch wir enthalten uns, aus einer solchen Fülle weitere Namen zu nennen und fügen nur noch hinzu, daß die Verlagshandlung den Musen-Almanach mit sechs reizenden Kunstbeilagen, welche diesen Namen wirklich verdienen, geschmückt, und auch sonst in Druck, Papier und Ausstattung Alles gethan hat, um das alte Wappenthier der Cotta, das Flügelroß der Musen, welches wir auf dem Titelblatt erblicken, mit neuen Ehren zu bekleiden.
V>. Pinsel und Kutte. Trauerspiel in vier Aufzügen von C. G. Bruno. Berlin, I. Schultz.
Das Drama ist besser als sein Titel. Zeigt sich auch noch vielfach die Hand des Anfängers besonders in dem Aufbau des scenischen Gerüstes, so erfreut doch die Begeisterung für die Kunst, die Lust am Gestalten, welche in dem Gedichte ersichtlich wird. Der Verfasser verlegt sein Spiel nach Florenz und in den Ausgang des Mittelalters; er schildert in kräftig gezeichneten Figuren und farbenprächtigen Scenen die Macht eines lebensfeindlichen Pfaffenthums, welcher gerade transscen- dente Künstlernaturen zum Opfer fallen. Hätte sein Maler Andrea sich mit all seinem Wollen ans frische Leben geklammert, dem seine Kunst erblühte; hätte er, dem Zeitgenossen Raffael gleich, in seinem heißblütigen Weib den Mikrokosmus umfangen, statt in der Hochzeitsnacht durch Kneipen zu vagieren, um Stimmungen und Beleuchtungseffecte zu erhaschen, so märe er die Wege gesunder Gegenständlichkeit gewandelt, die auch unserem begabten Autor warm zu empfehlen sind. Sociale Strömungen, die in unserem Gemüth nicht mehr anklingen, sind ein unglücklicher Vorwurf für die concreten Zwecke, welche das dramatische Kunstwerk verfolgen muß. Insbesondere aber erregen die aus religiösen Epidemien entspringenden Con- flicte gegenwärtig weniger das psychische Mitleid als das physische Bedauern. Daß doch unsere jungen Dichter gleich immer ihre Kraft an rauschenden Jamben und an Gedankenkreisen versuchen wollen, die mit unserer Lebensführung nichts mehr gemein haben, anstatt dasjenige in schlichter Wahrheit hinzustellen, was ihre reiche Gegenwart umspannt! Die „Räuber" und „Götz" stürmten aus wildbewegten und leidenschaftlich ringenden Jünglingsherzen, deren frischem Thatendrang jenes nebelhafte Hinbrüten über erträumte Phantasmen gründlich fremd war. Dies moderne Empfinden wurde die Grundlage für die geläuterte Schönheit eines „Wallenstein" und einer „Iphigenie", rn. Friedrich Schlesiens Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Herausgegeben von vr. Oscar F. Walzel. Berlin, Speyer L Peters. 1890.
Drei Männer haben schon, mehr oder weniger reichlich, aus dieser Quelle geschöpft: Haym, der ausgezeichnete Geschichtschreiber der romantischen Schule; der Biograph Schleiermacher's Dilthey, der gleichzeitig mit Haym die Freund-