Issue 
(1891) 66
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Literarische Notizen.

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schaft zwischen seinem werdenden Helden und dem Schwarmgeist Friedrich darstellte; Waitz, um die Correspondenz Carolinens, der größten deutschen Briefkünstlerin, zu ergänzen und zu erläutern. Wie gerade die eindringliche Analyse Haym's dem schon lange geäußerten Bedürfnis; nach einer Sammlung von Friedrich Schlegel's Jugendschriften (ed. Minor, Wien 1882) zur Befriedigung verhalf, so mußte die zusammen­fassende und auslesende Entwicklungsgeschichte des Schlegel'schen Lebens und Strebens unserer, gewiß oft allzusehr im Sammeln und Neu­drucken schwelgenden, Zeit den Wunsch auf­drängen, vom gerundeten Ergebniß zu der ganzen Fülle der Factoren und aller Neben­bezüge, von der verdichteten Schilderung des Menschen und Schriftstellers zu den Urkunden zu gehen und sich mit dem Vorschmack um so weniger zu begnügen, als das Briefcorpus weit über die von den genannten Forschern be­handelte Zeit hinausführt. Es muß auch den fesseln, der unvorbereitet herankommt, ja bei unmittelbarer Betrachtung mächtig überraschen. Denn nirgend, auch beim jungen Herder nicht, wird geniale Frühreife, die unersättlich alle Felder der Wissenschaften und Künste durch­schweift, Problem auf Problem anpackt, Pro­gramm auf Programm hinwirst, demüthig an­betet und rücksichtslos niederreißt, die ahnungsvoll Fackeln anzündet oder mit dreisten Paradoxien wetterleuchtet, nothwendige Kriege auskämpft und unnützen Streit vom Zauns bricht, so glänzend und zugleich so beängstigend sich darstellen. Nirgend die Wechselwirkung zwischen einem über­reizten Nervensystem und einer überkochenden Geistesthätigkeit, geistiger und physischer Aus­schweifung, literarischer und bürgerlicher Un­ordnung so frappiren. Diese Beiträge zur Ge­schichte eines bedeutenden Individuums und der Auseinandersetzung zweier ungemein produc­tiver Generationen hinterlassen einen bösen Gesammteindruck, von Seiten des Schreibers wie des Empfängers. Der jüngere, genialere Bruder, der nur säte, nie erntete, macht inneren und äußeren Bankerott. Der Revolutionär wird reactionür, der Paradoxe orthodox. Wilhelm, der saubere Arbeiter, engt seinen Haushalt immer mehr ein und setzt dem compromittirenden Bruder unter den peinlichsten Abrechnungen, auch finanzieller Art, den Stuhl vor die Thüre.

Der Herausgeber, ein Schüler Minor's, hat sich auch durch eine klare Einleitung, sorgsame Fußnoten, bequeme Register die lebhafteste Aner­kennung verdient. Nur meinen wir und das hat principielle Bedeutung daß die Schleusen hier zu weit aufgethan sind. Sicherlich hätte Waitz gewisse Briefe Carolinens an Meyer, an Schilling getrost mittheilen sollen, da sie voll ernster, tiefer, ringender Verzweiflung und Lei­denschaft in das Innerste hineinleuchten war es aber nöthig, hier die ganze äußere Geschichte Carolinens in ihrer traurigsten Zeit durch so viele Seiten aufzuschlagen, statt zusammen­zufassen? Müssen wir alle Geldnöthe Friedrich's mit der leeren Tasche actenmäßig verfolgen? über Wilhelm's von Heine frech verspottete zweite Ehe peinlichste Geständnisse anhören, die

doch nichts erledigen? Und ist es nicht besser, kurzweg eine Lücke zu lassen, als hinter dem Namen einer Frau zwei Zeilen voller Gedanken­striche anzubringen, auf denen sich dann die Phan­tasie, das Allerschlimmste munkelnd, niedersetzt? Diese Fragen möchte auch der nicht bejahen, der keine Schatten vertuschen, vielmehr die dunklen Seiten des Lebens ebenso wie die Hellen zur Charakteristik gebrauchen will.

Geschichte der neueren Philosophie. Von Kuno Fischer. II. Band: Gottfried Wilhelm Leibniz. 1. Buch: Leibnizens Leben und Schriften. 2. Buch: Leibnizens Lehre. Dritte Auflage. Heidelberg, Carl Winter's Universitätsbuchhandlung. '1889.

Der vorliegende II. Band des berühmten Fischer'schen Werkes, der sich mit dem Leben und der wissenschaftlichen Bedeutung des großen deutschen Philosophen und Polyhistors beschäf­tigt, dürste sich ganz besonders zur Lectüre auch für weitere Kreise, die kein besonderes Fach­interesse dazu anregt, empfehlen. Hat doch Leibniz fast lebenslang hervorragende Stellungen im öffentlichen Leben bekleidet, hat er doch durch seine vertrauten Beziehungen zuerst zum Chur­fürsten Johann Philip Schönborn von Mainz und nachmals zu den Fürsten des Welfenhauses sowie auch zum ersten preußischen Königspaare eine vielseitige und hochbedeutende, politisch­diplomatische und wissenschaftliche Thätigkeit entfaltet; ist sein Name doch nicht bloß durch seineMonadenlehre" und seinSystem der vorherbestimmten Harmonie", sowie durch seine großen mathematischen Erfindungen unsterblich geworden: ist er doch auch unzertrennlich mit den fortgesetzten Bemühungen hervorragender deutscher Patrioten, den Bestand des deutschen Reiches zu sichern und die Uebermacht Lud- wig's XIV. zu brechen, mit den hiermit in Zu­sammenhang stehenden, auf die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit gerichteten katholisch­protestantischen Reunionsbestrebungen, ebenso wie mit den Unionsbestrebungen innerhalb der evangelischen Kirche mit der Erhebung Han­novers zum Churfürstenthum und der Berufung des Welfenhauses auf den englischen Königs­thron, endlich mit der Gründung der Berliner Academie der Wissenschaften unter Friedrich I. verknüpft. Nach allen diesen Richtungen hin hat Fischer Leibniz Bedeutung eingehend ge­würdigt, hat auch seiner persönlichen Be­ziehungen zur Churfürstin Sophie von Han­nover, zu ihrer Tochter, der Königin Sophie Charlotte von Preußen, zur Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, zum Prinzen Eugen von Savoyen, zu Carl VI. und Peter d. Großen und zu anderen berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit Erwähnung gethan, und damit ein Lebens­bild, das des Fesselnden und allgemein Jnter- essirenden ungemein Vieles enthält, vor unseren Blicken entrollt. Im zweiten Theil hat er dann eine ebenso klare und übersichtliche wie ein­gehende Darstellung und kritische Beleuchtung der Leibniz'schen Lehre gegeben und ihr in an­regend vergleichender Betrachtung die ent­sprechenden Lehren anderer bedeutender Denker insbesondere diejenigen Spinoza's, Descarte's