Kterarische Notrzen.
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Kriege Friedrich's des Großen arbeite; irren wir nicht, so sind sechs Jahre ins Land gegangen, seit Feldmarschall Graf Moltke öffentlich zur Hergabe im privaten Besitz befindlicher Quellen über des Großen Königs Feldzüge aufforderte. Für die lange Zeit des Harrens entschädigt indessen der jetzt endlich vorliegende Band vollauf: trotz der kurzen Periode, die er behandelt (vom Regierungsantritt des Königs bis zur Schlacht von Atollwitz), ist er inhaltlich äußerst reich und zeigt, daß die ganze Veranlagung des Werkes von klaren, einheitlichen Gesichtspunkten aus geleitet wird. Der Aufbau erscheint übersichtlich, das Wichtigeist überall von dem Nebensächlichen unterschieden, die Darstellung fließend, das Ur- theil überlegt und offen, die Sprache im besten Sinne vornehm. Der Band hebt mit einer Schilderung der politischen Vorgeschichte des Krieges an, die nach der Lage des bereits veröffentlichten Quellenmaterials nichts wesentlich Neues bringen konnte; es schließt sich eine Ueber- sicht über die Beschaffenheit der beiderseitigen Heere an, in welcher besonders eine Charakteristik der hervorragenderen Führervon hohem Interesse ist — dann wird die Kriegs- und Fechtweise jener Zeit erläutert und der Kriegsschauplatz in eingehender Weise besprochen. Der zweite Hauptabschnitt schildert den Einmarsch des Königs in Schlesien, die Gefechte bei Ellguth, Ottmackau und Grätz, die Ereignisse vom Beziehen der Winterquartiere bis zur Wiedereröffnung der Operationen im Anfang April 1741. Diese kurze Anzeige bietet nrcht den Raum zu einer eingehenden kritischen Besprechung, die nur aus einer gründlichen Auseinandersetzung der Kriegslage fußen könnte — genug, daß uns der König hier noch überall als der Lernende gegenübertritt, als ein Lernender aber von höchster Energie des Willens: schon der Entschluß an sich, die Eröffnung des Feldzugs in den Winter zu verlegen, war für jene Zeit, welche jeden Winterseldzug halbwegs als eine Unmöglichkeit ansah, eine kühne That! Der dritte und Schlußabschnitt des Bandes behandelt die Versammlung des preußischen Heeres aus den Winterquartieren, den bekannten Parallelmarsch Neipperg's und des Königs, während dessen beide Gegner in kaum zwei Meilen Entfernung mehrere Tage lang nebeneinander Herzogen, und schließlich die Schlacht von Mollwitz selbst.
Die Schilderung der Schlacht muß als ein Muster übersichtlicher, kriegsgeschichtlicher Darstellung bezeichnet werden. In unübertrefflicher Klarheit werden die Maßnahmen beider Theile erörtert, mit bewundernswürdiger Schürfe formt sich die Kritik über die beiderseitige Führung. Die Würdigung des Römer'schen Reiterangriffs aus der einen Seite, die Beurtheilung der Durchführung des Angriffs der preußischen Infanterie auf der anderen sind meisterhaft. Ueber die Entfernung des Königs selbst vom Schlachtfeld werden einige bemerkenswerthe, neue Nachrichten beigebracht; man kann der Auffassung nur beistimmen, daß Schwerin etwas voreilig — oder sehr auf seinen persönlichen Ruhm bedacht handelte, als er in den jugendlichen Monarchen drang, sich nach Oppeln zu begeben. „Daß
Schwerin mit der trefflichen Infanterie den Angriff erneuerte und für aussichtsvoll hielt, ist begreiflich genug — warum das nicht auch in Anwesenheit des Königs möglich gewesen wäre, und welche besonderen Gefahren diesem dabei entgegentreten konnten, ist schwer einzusehen." Ueber das Verhältniß des Feldmarschalls zum König gibt das Werk überhaupt manche neue und überraschende Auskunft — Referent muß allerdings gesteheil, daß das Urtheil über den immerhin hochverdienten General, so treffend begründet es sein mag, bisweilen etwas zu herbe erscheint.
Wie es sich bei dem Generalstab von selbst versteht, fußt das Werk überall auf dem gründlichsten Quellenstudium; die umfangreichen Anlagen liefern dafür auch einen äußerlichen Beweis. Die Ausstattung ist vortrefflich, die beigegebenen Pläne und Textskizzen zeichnen sich durch große Klarheit aus. Interessant sind drei Handzeichnungen des Königs: ein Plan von Glogau: „so sihet Glogau aus. Die Grabens seindt trocken.", eine Skizze des Uebersalls von Baumgarten und eine weitere zur Schlacht von Mollwitz.
Das Buch will selbstverständlich ernst gelesen und nicht durchblättert sein. Durchblättert aber können es diejenigen Kritiker nur j haben, welche zu der Ansicht gelangt sind, es j biete für den Ofsicier wenig Lehrreiches, das Wesen der damaligen Kriegführung sei zu grundverschieden von unseren heutigen Anschauungen, und das Studium der Kriegsgeschichte dürfe erst mit den napoleonischen Feldzügen anheben. Welch eine irrige Ansicht! Wie sich auch die Formen der Heere, wie sich die Waffenwirkung geändert haben mag, welchen Einfluß Eisenbahn und Telegraph auf die Kriegführung gewonnen j haben — die großen Züge des Krieges, die ^ strategischen Entschlüsse sind dieselben geblieben j und das moralische Element übt heute denselben j Einfluß aus den Erfolg aus, wie ehedem. Nach ^ diesen Richtungen hin bleiben des Großen Königs Feldzüge uns Allen eine ewig neue, unerschöpfliche Quelle ernsten Studiums, wie seine Persönlichkeit uns ein herrliches Vorbild bleibe.
Auf der andern Seite freilich können wir es nur mit herbem Bedauern vernehmen, wenn der Generalstab, wie es in der Vorrede heißt, die Zeit der Befreiungskriege für zu naheliegend erachtet, als daß eine unbefangene Darstellung derselben möglich wäre: Achtzig Jahre trennen uns von den Tagen Scharnhorst's und Gnei- senau's, Blücher's und Aork's, und noch immer sollten persönliche Rücksichten die uns so dringend fehlende, eingehendere Bearbeitung der stolzen Jahre der Wiedererhebung Preußens unmöglich machen? Unmöglich zu einer Zeit, in der die Archive des Staates der historischen Forschung fast bis auf die jüngsten Tage in bereitwilligster Weise zugänglich gemacht sind?
Grade das vorliegende Werk weckt das Be- dürfniß nach einer „unbefangenen Darstellung" der Befreiungskriege seitens der Abtheilung für Kriegsgeschichte, und den Wunsch, die letztere so reichlich mit geeigneten Kräften — an denen es sicher in der deutschen Armee nicht fehlt — aus-