176
Deutsche Rundschau.
Griechen, Aegypter, Inder und Tscherkessen als Vertreter jeder Richtung in Leben und Liebe citirte — war ihm einfach ein Beweis tiefer Nichtbildung und äußerster Unvertrautheit mit den „wechselnden Formen menschlicher Vergesellschaftung," wie er sich, unter Lüftung seiner kleinen Goldbrille, gern ausdrückte. Man sah dann jedesmal, Wie die kleinen Augen pfiffig und überlegen lächelten. Er war ein Sechziger, unverheirathet und natürlich Gourmand; die Prinzessin hielt aus ihn, weil er sie nie gelangweilt und sein nicht leichtes Amt anscheinend spielend und doch immer mit großer Accuratesse verwaltet hatte. Das ließ manches Andere vergessen, vor Allem auch das, daß er, all seiner Meriten uner- achtet, doch eigentlich in Allem, was Erscheinung anging, eine komische Figur war. So lange er bei Tische saß, ging es; wenn er dann aber ausstand, zeigte fich's, was die Natur einerseits zu viel und andererseits zu wenig für ihn gethan hatte. Seine Sockelpartie nämlich ließ viel zu wünschen übrig, was die Prinzessin dahin ausdrückte „sie habe nie einen Menschen gesehen, der so wenig auf Stelzen ginge, wie Baron Pentz." Da sie dies Wort immer nur citirte, wenn in seinem Sprechen etwas moralisch sehr „Ungestelztes" vorausgegangen war, so genoß sie dabei die Doppelfreude, ihn mit ein und demselben Worte ridikülisirt und beglückt zu haben. Er war von großer Beweglichkeit und hätte danach ein ewiges Leben versprochen, wenn nicht sein Embonpoint, sein kurzer Hals und sein gerötheter Teint gewesen wären, drei Dinge, die den Apoplecticus verriethen.
Als Pentz' Gegenstück konnte Erichsen gelten; wie Jener ein Apoplecticus, so war Dieser ein geborener Hectikus. Er stammte aus einer Schwindsuchts- samilie, die, weil sie sehr reich War, die Kirchhöfe sämmtlicher klimatischer Kurorte mit Denkmälern aus Marmor, Syenit und Bronce versorgt hatte. Die Zeichen der Unsterblichkeit auf eben diesen Denkmälern waren aber überall dieselben, und in Nizza, San Remo, Funchal und Kairo, ja prosaischerweise auch in Görbersdorf, schwebte der Schmetterling, als wenn er das Wappen der Erichsen gewesen wäre, himmelan. Auch unser gegenwärtiger Kammerherr Erichsen, seit etwa zehn Jahren im Dienste der Prinzessin, hatte den ganzen Kursus „durchschmarutzt", ihn aber glücklicher absolvirt als andere seines Namens. Von seinem vierzigsten Jahre an war er seßhaft geworden und konnte sich die ruhigen Tage gönnen, was er so weit trieb, daß er kaum noch Kopenhagen verließ. Er hatte das Reisen satt bekommen, zugleich aber aus seinen ärztlich verordnten Entsagungstagen auch eine Abneigung gegen alle Extravaganzen in sein derzeitiges Hofleben mit herübergenommen. Daran gewöhnt, von Milch, Hühnerbrust und Emser Krähnchen zu leben, fiel ihm, wie Pentz sagte, bei Festmahlen und Freudenfeiern immer nur die Aufgabe zu, durch seine lange, einem Aus- rusungszeichen gleichende Gestalt, vor Allem was an Bacchuscultus erinnern konnte, zu warnen. „Erichsen das Gewissen" war einer der vielen Beinamen, die Pentz ihm gegeben hatte.
Von dem Hause der Wittwe Hansen in der Dronningeys-Tvergade bis zu Vincent's Restaurant am Köngens Nhtorv war nur ein Weg von fünf Minuten. Erichsen mußte, nach Pentz' Weisung, recognoscirend vorangehen, „weil ihm seine sechs Fuß einen besseren Ueberblick über die Vincent'schen Platzzustände gestatten