Heft 
(1891) 66
Seite
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Deutsche Rundschau.

im Gegensatz zu den Informationen, welche wir aus sinnlichen Wahrnehmungen und der bloßen Vernunft schöpfen. Da aber der Glaube ein Act des Jntellects ist, öffnet er der Untersuchung, Vergleichung und Beweisführung, d. h. also der Religionswissenschaft, den Weg, welche ihm selbst zu dienen hat: das ist das Princip der Theologie. Die Lehre von der Menschwerdung kündigt uns ein Geschenk der Gottheit in sichtbarem Medium an: Himmel und Erde ver­einigen sich in der Jncarnation. So stellt sich in der wahren Idee des Christen­thums das sacramentale Princip als charakteristisch dar. Damit hängt denn zusammen, daß die Sprache zugleich eine neue, mystische Bedeutung ge­winnt. Neue Worte müssen entstehen, um neue Gedanken auszudrücken, und diese Worte erhalten einen sacramentalen Charakter. Es war des Herrn Absicht bei seiner Menschwerdung, den Menschen zu sich emporzuziehen und sich (ethisch) gleich, bezw- ähnlich zu machen; das ist das Princip der Gnade, heilig und heiligmachend zugleich. Es verwandelt und erhebt uns, aber nicht ohne unsere niedere Natur, den alten Adam, zu tödten das Princip der Ascese; und mit diesem Absterben des natürlichen Menschen ist nothwendigerweise eine Offenbarung der Bosheit der Sünde gegeben, in llebereinstimmung mit dem, was das Gewissen gebietet und verbietet. So lehrt uns die Jncarnation, was wir über Verhältniß von Geist und Materie zu denken haben und in­wiefern beide einer Heiligung bedürftig und fähig sind*).

Von diesen Grundsätzen aus, welche als das Rückenmark seiner Dogmatik anzusehen sind, gewinnt Newman den Weg zur Feststellung dessen , was er den Principat des Glaubens tüe suyremaev ok tüe baitii nennt. Als Geschichtschreiber sagt er über seinen Standpunkt in den Jahren 1843 und 1844:ich glaubte an einen Gott aus Wahrscheinlichkeit hin, glaubte an das Christenthum aus Wahrscheinlichkeit hin und glaubte an den Katholicismus auf Wahrscheinlichkeit hin; und in den drei Fällen bestimmte mich fast dieselbe Art von Wahrscheinlichkeit, eine Wahrscheinlichkeit, die sich ins Unendliche verdoppeln ließe, ohne mehr als Wahrscheinlichkeit zu werden. Denn so, dachte ich, hat es unser Schöpfer gewollt, daß wir in der Mathematik zwar durch Beweise der strengsten Art zur Gewißheit gelangen, in religiöser Forschung dagegen Gewiß­heit nur durch Anhäufung von Wahrscheinlichkeiten erreichen können; denn er, der gewollt hat, daß wir also Verfahren sollen, wirkt mit uns in unserm Thun, und gibt uns dadurch eine Gewißheit, welche höher reicht, als, nach den Regeln der Logik bemessen, die Kraft unserer Schlüffe. Und so gelang es mir, klar einzusehen und innerlich befriedigt zu sein mit der Einsicht, daß ich in meinem Weiterschreiten aus dem Wege zur römischen Kirche nicht bloß untergeordnete Vernunstgründe, nicht bloß Entscheidungen über einzelne Streitfragen für mich hatte, sondern überall, auch in dem Gebrauche dieser Beweismittel zweiten Ranges, mich getragen und gerechtfertigt fand durch eine mächtige, weit­reichende Grundwahrheit M" Iw Grund ist es dieselbe Ausfassung, welche Newman in dem ..ll88av on tüe Development ot Odristian Doetrine" auch noch

U DövsIopmerU ot 6drist. Doctr., p. 325 1.

2 - p. 109. Deutsche Neberfetzung S. 231.