Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

und gefühlvolle Weise zu unterhalten. Nach einem kurzen stillen Gebet ward ein Text der heiligen Schrift verlesen, worüber ein und der andere sich, auslegend oder anwendend, in einer kurzen Rede vernehmen ließ. Man besprach sich auch Wohl hierüber, alles in Bezug auf unmittelbare Thätigkeit; dialektische und spitz­findige Behandlung war durchaus verboten. Da nun aber nach dem hohen Sinne des trefflichen Vorgesetzten alle Speculation verbannt, jede geregelte Thätigkeit aber aufs Leben gerichtet war, und das Leben sich ohne Heiterkeit nicht denken läßt, so wußte der Mann auch hierin den unschuldigen Bedürfnissen und Wünschen der Seinigen entgegenzukommen. Bei eintretendem Frühling führte er sie nach San Onofrio; hier, wo bei der jungen Jahreszeit alles jung erscheinen sollte, trat, nach stillen Gebeten, ein hübscher Knabe hervor, recitirte eine auswendig gelernte Predigt, Gebete folgten, und ein Chor eingeladener Sänger ließ sich erfreulich und eindringlich zum Schlüsse hören. Goethe erzählt mit Behagen, wie die Thiere selbst sich seinem Heiligen angeschlossen und nicht mehr von ihm getrennt hätten; wie er einst, vom Papst zu einer ekstatischen Nonne geschickt, ihr statt des Grußes den von Weg und Wetter übel zugerichteten Stiefel hingereicht, und als sie mit Schelten und Zorn zurückgefahren, sich gelassen erhoben, das Maulthier, das ihn gebracht hatte, wieder bestiegen und dem lächelnden Papst berichtet habe, eine weitere Prüfung werde er Wohl nicht nöthig finden. Allein Goethe berichtet auch von Zuständen des Enthusiasmus, der Ekstase, der Leidenschaft, wo der sonst so verständige, praktische Mann sich gänzlich verlor; von den außerordent­lichsten ihm verliehenen Naturgaben, von Spott und Hohn, den er erduldete, von seiner tiefen, unter der heitern, gefälligen Außenseite ihn erfüllenden Ver­achtung der Welt. Und Goethe, der sich in alle intellektuellen Lagen versetzen, in alle seelischen Zustände hineinleben konnte, findet in Bezug auf Filippo Neri die merkwürdigen Worte:man kann gewiß sein, daß die erhabensten, innerlich stolzesten Menschen sich zu jenen Grundsätzen allein bequemen, indem sie das Widerwärtige einer dem Guten und Großen immer widerstrebenden Welt voraus­zukosten und den bittern Kelch der Erfahrung, eh' er ihnen noch angeboten ist, bis auf den Grund zu leeren sich entschließen."

Ganz ähnliche Motive haben Newman in seine selbstgewählte Abgeschieden­heit geführt, ganz ähnliche Züge, wenn dem Unterschied der Zeit und der Ver­hältnisse gebührend Rechnung getragen worden ist, sein dortiges Leben gekenn­zeichnet. Sein Oratorium freilich stand nicht im prächtigen Rom des Ausgangs der Renaissance, sondern im kohlengeschwärzten, prosaischen Birmingham, im Schoß einer armen, verwahrlosten Fabrikbevölkerung. Sein San Onofrio lag nicht aus malerischer Höhe mit dem Ausblick aus südliche Berge und blaue Meeresfluthen; es hieß Rednall und war ein unscheinbares Haus in wenig reizender nordischer Ebene; kein hoher Tempelbau, keine säulengetragene Basilika riefen ihm eine Welt der Schönheit in die Seele; unscheinbar, eng und häßlich war die Kirche zu nennen, in der sein Betstuhl, sein Altar und endlich sein Sarg gestanden haben. Allein das hohe religiöse Ideal, das vor Newman's Blicken lag, bedurfte keiner äußeren Anregung und erstrebte, um sich zu verwirklichen, ganz einfach-praktische Lösungen. Das Außerordentliche überließ er Anderen und ver­traute sich der Führung und dem Beispiel des Heiligen, der halb in der Welt