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Deutsche Rundschau.
Antwort auf solche Zudringlichkeiten auch eine Dissertation, etwa über die Kultur der Weintrauben in Glashäusern, oder über den Vortheil, den Schnellzug von 11. 45 statt jenen von 4. 26 zu benützen.
Und hiermit ist eine Seite in Newman's Wesen berührt, die Macht des Spottes, der Ironie, der Satire, die triumphirende dialektische Virtuosität in Umzinglung und Entwaffnung des Gegners, die er mit Pascal und Lessing gemein hatte, und die, spät und durch Zufall in Thätigkeit gesetzt, ihm eine der völligsten Genugtuungen verschaffte, die in der Geschichte der kontroversen verzeichnet stehen.
Der Anlaß dazu war dieser. Vor Weihnachten 1863 erschien die Januar- Nummer von „Macmillan's Magazine", und in derselben ein Artikel Kingsley's über A. Froude's „Geschichte von England". In diesem Artikel stand folgende Stelle zu lesen: „die Wahrheit um ihrer selbst willen ist niemals eine Tugend des römischen Klerus gewesen. Pater Newman belehrt uns, daß dem nicht so zu sein braucht und im Ganzen auch gar nicht so sein soll; daß List und Schlauheit (eunning) die Waffen sind, die der Himmel den Heiligen verliehen hat, um der brutalen Gewalt der bösen Welt zu widerstehen, die da zur Ehe gibt und nimmt. Mag diese Auffassung in der Lehre begründet sein oder nicht, immerhin ist sie historisch begründet."
Kingsley war nicht nur eine durchaus tüchtige, tief religiöse und begeisterungs- sähige Natur, er war auch ein großes Talent, ein Schriftsteller, ein Dichter von bleibendem Werth, voll Impuls und Energie, Thatkraft und Wohlgefallen am nationalen Leben. Von ihm ist behauptet worden, sein Ideal der Vollkommenheit sei der echte englische Landsquire gewesen, und die katholischen Ideen und Tendenzen mochte er nicht leiden. Im Gegensatz zu Newman, der jedes Wort abwog und die feinsten Unterscheidungen beobachtete, gefiel sich Kingsleh in einer- gewissen derben Heftigkeit. Der Artikel, der die ungeheure Anschuldigung gegen Newman enthielt, war nicht unterzeichnet und wurde diesem durch einen Freund zugeschickt, ohne dessen Vermittlung er aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht Kenntniß davon erhalten hätte. Er schrieb unverzüglich an Macmillan's Verlag und machte aufmerksam auf „die schwere, grundlose Verleumdung". Kingsley nannte sich hierauf als den Verfasser und berief sich zu seiner Rechtfertigung auf „viele Stellen" in Newman's Schriften, die er nicht näher bezeichnet^ dann aber aus die Predigt über „Weisheit und Unschuld", die Newman auf der Kanzel der anglikanischen Kirche zu St. Mary in Oxford 1843 gehalten hatte*), und welcher der Text zu Grunde lag: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen, und ohne Falsch wie die Tauben."
Wer Newman's Kommentar liest, der wird sich der Ansicht seines Biographen anschließen, daß in dieser Predigt der Text es war, der die Anschuldigung von Kingsley noch am meisten rechtfertigte^). „vr. Newman," fügte dieser hinzu, „hat meine Deutung seiner Worte feierlich zurückgewiesen. Niemand kennt den Sinn und Gebrauch des Wortes besser, als vr. Newman, Niemand hat daher ein besseres Recht, zu destniren, was er mit Worten meint oder nicht
0 Lormon.8 on sudjöts ot Ms 86ri7i!)i! 20, 19. Februar 1643. 2) k. Hutlon, Larsina! ZUv/MLv, x. 227.