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Deutsche Rundschau.
Vor, mit Welchem er, Newman, „Beispiele der Unehrlichkeit seitens der Katholiken ausgemalt habe". Woraus dieser enlgegnete: „das anscheinende Wohlgefallen' ist gerade das verletzte Gefühl, welches sich durch eine bestimmte Formulirung Dessen zu erleichtern sucht, was ihm so Hassenswerth erscheint."
Es handelte sich in dieser Controverse überhaupt nicht darum, ob Katholiken mehr oder weniger als andere Menschen die Wahrheit verletzen, die Gerechtigkeit beleidigen und die Liebe vergessen, sondern ob die Auctorität, der sie zu gehorchen verpflichtet sind, irgend welche Entschuldigungen oder Beschönigungen solcher Sünden und Verbrechen bereit hält.
Gegen eine solche Voraussetzung und gegen den Wider sein ganzes Leben erhobenen Verdacht der Unehrlichkeit hat Newman durch die „Geschichte seiner religiösen Meinungen", die „^.xoloßia pro vita sua" geantwortet und damit den Angesichts der ganzen Nation gegen ihn eingeleiteten Proceß glänzend gewonnen. „Zur Ueberwindung des englischen Mißtrauens gegen die römischen Katholiken," schreibt ein englischer Protestant, „hat die „Apologia" mehr beigetragen als die ganze übrige religiöse Literatur unserer Zeit" *). Das Buch wurde ein Lieblingsbuch, a stanäarä dook, der englisch sprechenden Lesewelt, und über die Streitfrage selbst, die Art und die Gründe von Newmans Uebertritt war man sortan im Klaren.
Ob man sich aber auch klar geworden ist über seine Persönlichkeit? Die Urtheile über ihn lauten so widersprechend, daß Zweifel gestattet sind. Gladstone, der manche Lanze Wider ihn eingesetzt hat, nennt Newman „eine Illustration des Satzes, daß die Welt nichts von ihren größten Menschen weiß". Carlyle, der Grund gehabt hätte, ihn speciell zu bewundern, ließ sich an einem Tage, wo seine Galle mehr noch als sonst erregt war, zu der Aeußerung Hinreißen, „Newman habe das Gehirn eines mittelgroßen Kaninchen". Macaulay, bevor er irgend eine der anglicanischen Schriften Newman's gelesen hatte, versprach sich ein seltenes Vergnügen von seiner Widerlegung derselben, die übrigens unterblieb. Ein hervorragender englischer Rechtsgelehrter, den Newman immer lebhaft interessirt hat und der ihn gut kannte, sprach von der begründeten Sorge, daß in feinem Falle eine Ueberreizung des Gehirns vorliege. Puseh, der während der Abfassung und Veröffentlichung des Tract 90 fortwährend um Newman War, rühmt „die wunderbare Ruhe", die er während dieser aufregenden Zeit bewahrte. George Eliot spricht in einem ihrer Briefe von der „Unterhaltung" (!), die ihr Newman's „I^etures on tüs kosition ok Oatüolies" gewährt hätten, und
Wahrheit gegen das Verbot der Auctorität bestand. Alles hat seine Zeit, und wenn ein Mensch die Abstellung eines Mißbrauches, oder die vollständigere Entwicklung einer Lehre, oder die Adoptirung einer bestimmten Politik wünscht, dabei aber sich zu fragen vergißt, ob die rechte Zeit dafür auch gekommen sei, und wenn er, wissend, daß Niemand da ist, der während seiner Lebenszeit etwas zur Verwirklichung dieses Wunsches thun wird, wenn er selbst es nicht thut, nicht mehr auf die Stimme der Auctorität achten will, so wird er in seinem Jahrhundert ein gutes Werk verderben, damit im nächsten einem Anderen, noch nicht Geborenen, die Gelegenheit fehle, cs glücklich zum Abschluß zu bringen." (Damit unter Anderem zu vergleichen: lieber die Recht- sertigungslehre nach Luther, in den „I^oeturos on Oubtitieution", 0. ^Vorlrs, XIII, 389).
0. Untton, Luräinsl Xovemun, p. 230.