John Henry Newman.
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schließt mit einem Stoßseufzer der Sehnsucht bei dem Gedanken an die Glücklichen, die nach Birmingham gehen dursten H. Arthur Stanley, Decan von Westminster, Pflegte zu sagen: „wie anders Wäre die Geschichte der zeitgenössischen anglikanischen Kirche geworden, hätte Newman Deutsch gewußt." Dieser selbst machte nicht das geringste Hehl aus den Lücken in seiner Bildung. „In der langen Reihe der Jahre habe ich mich oft geirrt und viele Fehler begangen," erklärte er 1879. Auf die Frage eines vormaligen Schülers, welche Bücher er lesen sollte, gab Newman zur Antwort: „warum fragen Sie mich? Ich weiß nichts von Büchern." Von Goethe hat er nie ein Wort in deutscher Sprache gelesen, weil er sie, wie gesagt, nicht verstand; allein obwohl er Italienisch konnte, fühlte er keine ausgesprochene Sympathie mit Dante und schlug die „Göttliche Komödie" nicht auf H. Die Einladung zur Theilnahme an den Arbeiten des Comitä's zur Revision der englischen Bibelübersetzung lehnte er mit der Bemerkung ab, nie habe er den Wortlaut der Schrift zum Gegenstände eines eingehenderen Studiums gemacht. Er kannte die Kirche der Väter wie ein Zeitgenosse des Basilius und Chrysostomus, allein die scholastische Theologie, gestand er offen, sei ihm nicht geläufig in ihren technischen Besonderheiten. Die meisten seiner eigenen Werke waren Gelegenheitsschriften. Ausnahmen bildeten vornehmlich „Die Geschichte der Arianer", der schöne Roman aus dem dritten Jahrhundert, „Callista", den er in Dublin während der Widerwärtigkeiten seines Rectorates verfaßte, und der „biWux tmvarcl8 g. Orainmur ol J,886nt". Daß er nicht nur Wordsworth und Coleridge, sondern andere zeitgenössische Celebritäten nicht kannte, wissen wir von ihm selbst, sowie auch, daß er Schopenhauer's Namen 1884 zum ersten Male nennen hörte. Bis zu einem gewissen Grade lag Absicht in dieser Beschränkung. Der typische Stubengelehrte, Derjenige, der seine aufgespeicherten Kenntnisse nicht geistig durchdrungen und damit erst wirklich sein gemacht hat, war Newman verdächtig und forderte seinen Sarcasmus heraus: „solche Gelehrte sind von ihrer Gelehrsamkeit in Besitz genommen, statt diese zu besitzen," heißt es in einer der Dubliner Vorlesungen; „ja thatsächlich werden sie von ihr mit sortgerissen, ohne daß ihr Wille dabei thätig wäre. Denn man vergesse es nicht,
das Gedächtniß vermag ganz ebenso wie die Einbildungskraft zu tyrannisiren.
Wenn ich so spreche, verneine ich nicht, daß ein gutes und schlagfertiges Ge- düchtniß selbst ein wahrer Schatz ist; ich unterschätze einen kenntnißreichen Kopf, auch wenn er sonst gar nichts als trocken verständig dabei ist, ebenso wenig als ich den Vorrath eines Buchhändlers verachte. Er ist von höchstem Werth für Andere, wenn auch vielleicht nicht für den Buchhändler. Auch verbanne ich keineswegs die Besitzer eines tiefen, umfassenden Wissens von meiner idealen Universität. Sie schmücken dieselbe in den Augen der Menschen. Ich sage nur, daß sie nicht der Typus derjenigen Resultate sind, nach welchen sie strebt; daß es kein großer Gewinn für den Verstand ist, das Gedächtniß um den Preis der
*) Wilfrid Meynell, Oarämal He^inan. anä vis Oonkkinporariös, Oontöinxorarzr Ilevlcnv, September 1890.
2) Newman's Nekrolog in dem katholischen Blatt „NUo Indieks August 1890.
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