Issue 
(1891) 66
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216
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Ueue Grübeleien eines Walers.

Von

Otto Knille.

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind. Die mittelalterliche Glaubens­kunst hegte und Pflegte es in der Legende, welche sie als geschichtliche, jedoch geosfenbarte, nicht erforschte Thatsache behandelte. Die alten Maler trieben mit dem Leben der Heiligen Historien-Malerei: eine profane konnte es auf ihrem im Gottesstaate begründeten Arbeitsfelde schon deshalb nicht geben, weil sie jeder Geschichtskenntniß ermangelten. In Weltverleugnung und Himmelssehnsucht dämmerten sie tausend Jahre lang dahin.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts trafen die ersten Strahlen der Sonne von Hellas auf die christliche Welt. Es gab einen Klang wie von berstendem Eise. Der Herr der Kunst, der Mensch, zur Knechtsgestalt eingeschrumpft, fing an, sich aufzurichten, mit ihm sein erwachter Natursinn, dessen letztes Ziel nur die Freiheit sein konnte. Doch bis dahin war es noch weit. Die ersten Anfänge des ästhetischen Erlösungswerkes vielleicht das reizvollste Capitel der Kunst­geschichte scheinen von der Kirche in ihrer tieferen Bedeutung nicht erkannt und nur als eine Art von Spielbedürsniß angesehen worden zu sein, dem sie ohne Schaden für ihre Autorität Luft lassen konnte. Auch entsprach es offenbar dem Geschmack des Clerus, daß der monoton-heilige Inhalt der Andachtsbilder mit Zügen weltlichen Behagens durchsetzt wurde. Die Kirche ging sogar aus freien Stücken noch weiter und machte der unruhigen Schwesterkunst Malerei eine Concession, welche an Klugheit sowie an Frivolität ihresgleichen sucht: sie gestattete den Heidengöttern, also auch der sinnlichen Schönheit, Zugang in den christlichen Himmel. Die nun innerhalb des kirchlichen Rahmens ermöglichte Expansion hat, wie bekannt, den Werken der Renaissance ihr unsterbliches Ge­präge, aber auch der Malerei Veranlassung gegeben, noch viele Generationen lang im Dienst der Religion befangen zu bleiben.

Die Fürsten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, insofern sie als Auftrag­geber den Clerus ersetzten, hatten keinen Grund, das bestehende Verhältniß geändert zu wünschen. Denn ihnen lag weniger an weltlicher, als an höfischer