Neue Grübeleien eines Malers.
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Malerei, und für solche war in der griechischen Mythologie der reichste Apparat, im Olymp der würdige Schauplatz geboten, um Herrschertugenden — die eigenen — paradiren, nebenbei auch reizvolle und ergötzliche Scenen abspielen zu lassen.
Die Malerei hatte aber doch, und mit ihr die Sculptur, außerhalb der religiösen Schränken längst den festen Punkt gefunden, welcher für ihre Entwicklung entscheidend werden sollte: das Bildniß. In diesem kam die freie Individualität unbeanstandet zu ihrem Rechte; dem Naturstndium diente es als Schule; aus ihm erwuchs bescheiden die Sittenmalerei. Trotzdem blieb die Kluft bestehen zwischen der vom Ausübenden persönlich beliebten Kunst und der offi- ciellen in geschlossenen Jdeenkreisen verharrenden. Es sollte zu ihrer Ueberbrückung noch eine neue Macht erwachsen: der historische Sinn.
Das scholastische Mittelalter kannte keine Profangeschichte. Im Zeitalter der Renaissance wurde zwar das Alterthum studirt, aber unkritisch und ohne Mitwirkung der Hülfswissenschasten. Jedem Culturvolke lag seine Vergangenheit wie Pompeji unter der Asche. Von deutschem Heldenthum erzählten nur Lied und Sage, von deutschen Kaisern etwa noch die Siegel, welche an dieser oder jener Urkunde hingen.
Unzweifelhaft hat die Wissenschaft der bildenden Kunst zu ihrer vollen gegenständlichen Freiheit verholfen. Im vorigen Jahrhundert ansetzend, begann sie die Vergangenheit zu erhellen. Sie blieb nicht bei Erforschung des Alterthums stehen, sondern zeigte das arbeitende Räderwerk der Weltgeschichte. Stumme Bauwerke, bis dahin umwoben von den Schleiern der Unwissenheit und des Aberglaubens, kündeten nun die Thaten entschwundener Geschlechter, welche in ihnen und um sie her gelebt hatten. An den Schicksalen der Vorfahren wurden große Züge des strebenden Menschengeistes erkennbar. Die Gegenwart erschien nicht mehr als wirrer Kampf um das kurze Dasein, mit dem physischen Tode endigend, sondern als die letzte von unzähligen Etappen eines Culturweges, auf dem unsterbliche Gedanken in nichtigen Leibern weitergetragen werden.
Gegenüber diesem Angebot wissenschaftlicher Bereicherung mußte die Mal- knnst nothwendig Stellung nehmen. Sie glich einer wohlbefestigten alten Stadt, der zugemuthet wird, Schutz und Zier ihres Mauergürtels niederzulegen und damit ihr Inneres scharfen Luftströmungen von draußen, wohl gar fremden Machthabern zu öffnen- In Zeiten bildnerischer Vollkraft, welche den Gegenstand nur als Vorwand nimmt für selbständige Offenbarungen, nur durchgeistigte Handarbeit, nicht handlose Kopfarbeit kennt, würde die Malerei wahrscheinlich ihre ruhmreichen Bollwerke nicht geopfert haben; auf der Schwelle des letzten Jahrhunderts jedoch, tief verfallen und nach äußerer Reizung dürstend, entschloß sie sich zu der Halbheit, jene zwar aufrecht zu erhalten, aber durch eine breite Bresche zu schwächen. Und siehe, nun zog wirklich ein Herrscher in ihre hohlen Räume ein: der „Geist", mit ihm sein Kanzler, der kritische Verstand.
Das Tempo meiner streifenden Betrachtungen konnte bis jetzt so rapide sein, weil ich mir versagen durfte, zwischen und unter dem Text kunstgeschichtliche Proviantwagen laufen zu lassen. Ich habe meine Leser, vom Mittelalter ausgehend , über die Renaissance hinweg zu den beiden Durchgangsstadien versetzt,