Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

Welche die alte Malkunst mit der neuen verbinden: dem Stadium des Classi- cismus und dem der Romantik.

Die Schule des Classicismus, obschon während der französischen Revolution erwachsen, beharrte in conservativer Gesinnung. Ihr plastisches Ideal schützte vor der Gefahr, durch den neuen wissenschaftlichen Geist auf unsichere Gebiete geführt zu werden. Diesen aber hieß man insofern willkommen, als er das heidnische Alterthum beleuchtete, Griechenland in seiner marmornen Reinheit wiederherstellte und die Wohnung der Götter vom Parfüm des Rococo aus­lüftete (Winckelmann). Die Schule gehörte einem Zeitalter an, welches geneigt war, Malerei mit Korruption, Plastik mit Bürgertugend zu identificiren. Nominell Malerschule, malte sie wenig und stützte sich mit genügsamer Pose auf den in das graue Alterthum ragenden Stift.

Unsere deutsch-classischen Puristen am Tiber besaßen einen Vorzug und Mangel zugleich: den Vorzug, aus anschaulich-antiker, nicht literarisch gewonnener Basis zu stehen H und den Mangel, daß an ihnen im Grunde nichts deutsch war, als ihre ehrliche Haut und das strenge Bemühen, diese möglichst mit fremdem Inhalt auszufüllen 2).

Aber die Zeit sollte kommen , wo unser Volk, durch die Befreiungskriege sittlich tief erregt, seine Söhne aus dem classischen Fabellande zurückverlangte.

Vaterlandsliebe, gestählt an geschichtlichen Erinnerungen, Sehnsucht nach einem Lohn für Opfer, den harte Wirklichkeit verweigerte, religiöse Schwärmerei, auch Phantasterei dies Alles, in überspanntem Selbstgefühl und literarisch zum Ausdruck gebracht, bildete nun diejenige Geschmacksrichtung als mehr kann sie uns heute trotz ihrer stürmischen Ansätze kaum gelten, welche wir die romantische nennen. Das romantische Ideal stand in Gegensatz zum classi­schen, seiner Natur nach bildnerischen, und durchdrang zunächst Poesie und Musik. Auch die deutsche Malerei würde sich ihm erschlossen haben, hätte sie nicht in jämmerlicher Agonie gelegen. Doch wollte das Glück, daß ihr damals eine kleine Schar von Jüngern reiste, entzündbar für alles Große, und diese sehen wir zum Schwur auflodern: dem Vaterlande eine neue Kunst! Unter Führung von Jason- Cornelius unternahm sie, das goldene Vließ aus Rom zu holen.

Wenn sich dort die Ankömmlinge der über dem neuen Jahrhundert leuchtenden Aufklärung abwendeten, so lag dies daran, daß ihr junges Deutsch­thum auf römischem Boden im Nazarenenthum versank und zugleich von der Gewaltigkeit italienischer Vorbilder fast erdrückt wurde. Erst nachdem die viel­verheißende neue Schule über die Alpen heimgekehrt und größtenthcils in München

1) Dennoch betrachten die Philologen sie gern als ihre auserwählten Mit- und Hülfsarbeiter> haben ihnen auch dankbar den Buchruhm gesichert. Noch vor dreißig Jahren konnte keine Ab­handlung über neuere Malerei erscheinen ohne den unvermeidlichen Anfang: es lebte einmal ein Mann, der hieß Carstens.

2) Der Classiker David hat trotz der Frostigkeit seiner Werke die französische Malerei in nicht zu unterschützender Weise beeinflußt. Bei uns war es anders. Hier Pflegte, was vom Tiber den Rückweg fand, als Säule irgend einer Akademie rühmlos zu verwittern. Die klassische Schule konnte sich schließlich nur noch des Zeichners Genelli rühmen, der sie Jahrzehnte lang mit unerschütterter Energie vertrat. Ihre eigentliche Erbschaft fiel charakteristisch genug! den Bildhauern zu (Thorwaldsen).