Neue Grübeleien eines Malers.
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angesiedelt war, eröffneten sich verschiedene ihrer Meister dem Einstusse der Geschichtswissenschaft und besonders dem Angebot poetisch-nationaler Stoffe (Schnorr, Schwind, Steinle). Endlich konnte sich im Malerauge das glanzvolle Mittelalter spiegeln, nicht als dumpfe Bildungsstufe, aus deren Bann religiöse Verzückung emporzuschießen pflegte, wie der gothische Dom aus beklemmender Häuserenge, sondern als lebens- und farbenfreudige Vergangenheit mit ihrem Ringen und Wagen, ihrem Singen und Sagen, durch tausend feine Fäden wieder mit der Gegenwart verknüpft. Der Weg, welcher zur profanen Geschichtsmalerei führen mußte, begann sichtbar zu werden, aber noch hinderte romantische Voreingenommenheit, ihn zu betreten i).
Aus den elysäifchen Feldern klaren Denkens lockte die Romantik in ihren Zauberwald, durch dessen Lichtung heimische Fluren und Ströme, zinnengeschmückte Städte und ragende Burgen erglänzten, feine dämmerige Tiefe belebt von sprechenden Vögeln, lauschenden Zwergen, Drachen, bedrängten Jungfrauen, irrenden Rittern und frommen Pilgern. Ist dieser Ort holden Schwärmens der jetzigen Generation wieder versunken, ist ihr die fabelbildende Kraft abhanden gekommen, welche einst, unbekümmert um Geschichtskenntniß, der Väter Brauch und Thaten zu schildern wußte? Kein Zweifel, die Intelligenz hat den Wahn vom herrlichen Mittelalter gründlich zerstört und läßt heute jenes verzauberte Dickicht als Täuschungswerk erscheinen. Neuzeit und Mittelalter stoßen sich ab, wie Freiheit und Knechtschaft, Bildung und Unwissenheit, Cultur und Barbarei. Bedenken wir, daß zwischen Einst und Jetzt der vollzogene Act der Renaissance liegt.
Deutsche Kunst wird heute nicht mehr, wie noch vor fünfzig Jahren, im Sinne deutscher Einseitigkeit erstrebt. Damals sollte das lange verkümmerte
Volksgemüth in der Malerei wieder zu seinem Rechte kommen, und deshalb
mußte diese ihre Wurzeln dem elastischen Boden entzogen und in den vaterländischen zurückgesenkt haben. Es galt, die angelernte heidnisch-allegorische Bildersprache durch eine dem Volke verständliche, auf nationalen Vorstellungen beruhende zu ersetzen. „Denn für unser tiefstes Empfinden," so behaupteten die Romantiker, „für Alles, was wir von der Wiege bis zum Grabe erleben,
versagt die elastische Terminologie. Schiller's Lied von der Glocke würde
uns, griechisch illustrirt, ganz ungenießbar sein. Der Ton des ehernen Mundes durchzittert Jedermann, die Leyer Apolls erklingt kaum noch dem Dichter. In der antikisirenden Allegorie, heute wenig mehr denn gelehrte Ab- straction, erkennt das Volk sich nicht wieder, Wohl aber im romantischen Gewände, bestickt mit Blumen seiner Heimath, mit Engeln und Unholden seiner Einbildung O- Aus der elastischen Kunst weht die Kühle der Ewigkeit. Schreibet
Wir Pflegen heute über diese zu spotten und meinen wohl gar, fortan sei es mit allen trüben Medien vorbei, nicht bedenkend, daß sich deren immer neue zwischen Auge und Natur schieben müssen, ja nach Seelenantheil beim Schaffen. In der bildenden Kunst gibt es kein absolutes Hellsehen, noch eine absolute Wahrheit, vielmehr gehören Schein und Täuschung zu ihrem Wesen.
2) Trotz alledem bleibt die elastische Allegorie der bildenden Kunst, namentlich der Sculptur, unentbehrlich, und zwar deshalb, weil sie ihre beliebtesten Begriffe mit der Jdealgestalt des