Heft 
(1891) 66
Seite
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Neue Grübeleien eines Malers.

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Wenn auch nur im Schein und auf kostbare Augenblicke, die Erfüllung des irdisch Unerfüllbaren erleben."

Der Realist mag Recht haben, uns Maler vor der Wahrscheinlichkeitslüge zu warnen, mit welcher Manche mit Hülfe alten Costüms und Geräths das Vergangene nach- und vorzutäufchen suchen. Den Romantikern jedoch lag dieses ebenso fern, wie den Klassikern. Sie wollten nicht den Weg des Archäologen und Culturhistorikers gehen, auf geschichtliche Treue sahen sie es nicht ab, zumal ihr Publicum noch keine unerbittliche Richtigkeitscontrole übte, wie heutzutage. Doch bedurften die Jünger der Romantik für ihre wesentlich dichterischen und schrankenlosen Stoffe der Einkleidung, ihre Phantasie eines Verklärungsseldes, und solches fanden sie in der vaterländischen Vergangenheit.

Im Zaubergebiete der Romantik blüheten die Volkssage und das Volks­märchen, erstere noch unsicher am Oertlichen und Geschichtlichen haftend, letzteres als freies Spiel der Phantasie im Raum und in der Zeit schwebend. Beide mußten schon wegen ihres Gehalts am Wunderbaren den in religiöse Aufgaben versenkten Cornelianern als reizvolles Angebot erscheinen; beide wurden von der Münchener Schule in den Kreis ihrer Compositionen gezogen und mit Stift und Kohle, dem gesinnungsvollen Handwerkszeug, bearbeitet ^). Sonderbar! Diese zeichnerische Einseitigkeit hat aus dem engeren Felde, welchem sich nunmehr meine Betrachtung zuwendet, tiefe und dauernde Spuren hinterlassen, während es doch gerade ihr zuzumessen ist, daß die Schule als solche bald in die Sackgasse male­rischer Impotenz gerietst und daselbst an ihren dürftigen Mitteln abstarb ^).

1) Schnorr's Nibelungen in der Residenz zu München sind, obwohl gemalt, offenbar nicht für die Malerei erfunden worden. Im Fresco ist es ja auch verhältnißmüßig leicht, wenn man bescheiden tönt und färbt, Herr des vollen compositionellen Eindrucks zu bleiben. Uebrigens fei hier zugestanden, daß dieses dem Meister Schwind bei seinem Aschenbrödelcyclns ausnahmsweise sogar in Oel und nicht ohne Wahrung coloristifchen Reizes gelungen ist.

2) An ihrem Ende ist wohl noch mehr ein inneres Mißverhältniß schuld. Bekanntlich war es nur mangelhaft gelungen, die starr-compacte Glaubenskunst des deutschen Mittelalters in der Renaissance flüssig zu machen, in der Malerei gar nicht. Tiefe siechte dahin, ein sterbender Ab­glanz von romanischer Wiedergeburt. Weit über zweihundert Jahre behalf sich unser Vaterland mit italienischen, französischen und niederländischen Werken. An dem einzigen kraftvollen Meister jener Zeit, dem Bildhauer und Baumeister Schlüter, habe ich nie etwas von besonders deutscher Art entdecken können.

Die Reformation, selbst wenn sie confessionell geeinigt hätte, statt unheilvoll zu spalten, war nicht dazu angethan, der deutschen Kunst die ehrwürdigen Wurzeln zu verjüngen. Denn die evangelische Lehre mit ihrer Rechtfertigung durch den Glauben, so sittlich erhebend sie war, brachte stofflich keinen Ersatz für das in der sichtbaren Kirche alterprobte Vorstellungsgebiet. Zwar läßt sich nicht leugnen, daß der erhebende Odem des Gewissensfrühlings, welcher damals Hunderte von fliegenden Blättern durch Deutschland trieb, auch unserem Dürer und Holbein um die Stirn wehte. Aber es gibt ein schiefes Bild, wenn man beide, die ihre Basis in der katholischen Glaubenskunst bewahrten, den Aposteln der neuen Lehre zugesellen will. Später hat keiner ihrer schwachen Nachfolger nur versucht, aus seinem Bekenntniß Capital für die Malerei zu schlagen, vielmehr sollte diese unter dem fertigen Luther-Bibelthum stufenweise und kläglich im Geleise der alten Tradition abwirthschaften. Dürer's Holzschnitte haben ohne Zweifel den religiösen Sinn der Zeitgenossen vertiefen helfen, an Wirkung auf die Familie aber kaum ihre sturmbewegte Ent­stehungszeit überdauert. Sie sind erst beim Beginn dieses Jahrhunderts so zu sagen wieder aus­gegraben worden. Die protestantische Bevölkerung Deutschlands machte es gerade wie die katholische: