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Deutsche Rundschau.
In Form, Tonstimmung und Farbe ließ sich der Sagen- und Märchenstoff erfassen. Die stilistisch gesinnten Münchener wählten die Form H. Heute herrscht kein Zweifel mehr über die Angemessenheit dieser Wahl, nachdem sich genugsam herausgestellt, daß alle später gemachten Versuche, dem flimmernd Märchenhaften coloristisch beizukommen, nur zu einer Art von Feuerwerkerei geführt haben. Denn die Malerei ist nicht zum Spuktreiben da, nicht ungestraft entnimmt man ihrem festen Gefüge gewissermaßen die Weichtheile. Sie, sonst so stark, bleibt dem kleinen Märchen gegenüber fast machtlos.
Aus dem Zusammenwirken von Anschauung und Verstand ergibt sich das Wahrscheinliche, und dieses ist des Märchens Tod. Ein Mann auf Siebenmeilenstiefeln, ein Däumling, berghohe Riesen, Feen mit goldenem Gesicht, die Gralsburg mit ihren architektonischen Ungeheuerlichkeiten können vor dem geistigen Auge recht Wohl bestehen — gemalt aber und sinnlich erschaut wird so etwas ungenießbar. Das in der Phantasie Schwimmende ist nicht mit irdischen Pigmenten sestzukleben; des Malers rauhe Hand zerstört die Mondscheinsäden im Reiche Titania's, für Welche sich nur der klingende Ton als zart genug erweist.
Deutsche und englische Meister, besonders Moritz von Schwind und Eduard Steinle, später Walter Crane, sind dieser Erkenntniß gemäß Verfahren. Mit dem Griff des Genius nahmen sie Märchen- und Sagenstoffe gleichsam in die Retorte, ließen ihre flüchtigen Bestandtheile entweichen: das menschlich Natürliche, künstlerisch Echte blieb zurück. Dem soliden Bodensatz nun entsprachen sie mit einer soliden Form, deren Reiz aber, um für den verflüchtigten Märchenduft zu entschädigen, ganz ungewöhnlich sein mußte. Deshalb alle Ecken, Härten und Schrullen, damit bei Figuren, Bauwerken und Gründen die Vorstellung gebannt
sie schmückte ihre Wohnräume hartnäckig mit Kupferstichen nach Rafael's, aber auch nach Sasso- serrato's und Carlo Dolce's Madonnen. Nur sofern man die Reformation als den germanischen Protest gegen romanische Geistesknechtschaft auffaßt und als dessen Konsequenz die über alle theologischen Schranken hinausgewachsene Wissenschaft erkennt, kann meines Erachtens von einem gewissen Zusammenhänge der informatorischen Bewegung mit derjenigen, welche sich geistig in der Kunst der Neuzeit vollzogen hat, die Rede sein. —
Die Romantiker unter Führung des Cornelius unternahmen es mit dem Griff überspannter Willenskraft, zum zweiten Male zu erreichen, was bereits einmal im langsam unerbittlichen Proceß mißlungen war: Wiedertaufe der deutschen Malerei in der romanischen. Man hat kein Recht, sie darum zu tadeln. Sie folgten der ausgetretenen Pilgerstraße nach dem heiligen Rom, die meisten von ihnen mit einem starken Zuge von katholischer Sehnsucht, Alle, weil nun einmal die Magnetnadel auf dem Bildungscompaß uns Germanen nach dem Süden, nach der hohen Sonne weist. Die verzwickte Lage, in welche unsere jungen Männer geriethen, charakterisirt sich symbolisch dadurch, daß sie in Rom das Rafaelbarett über dem deutschen Kragen trugen. Mit dem Barett saßen sie noch in München auf ihren Gerüsten, nachdem ihnen der Kragen längst ein- geschrumpst war.
Z Anders die rheinische Schule, welche sich in Düsseldorf unter Wilhelm von Schadow gesammelt hatte. Bei fast dilettantischen Mitteln, nicht geschult an großen Mustern, aus lyrischer und romantischer Stimmung heraus schaffend, mußten ihr alle tiefen Griffe in die Welt des Phantastischen mißlingen. Nur Alfred Rethel hat solche gethan, wohl der originellste und tiefsinnigste aller Romantiker. — Um gerecht zu sein, muß ich hier noch Eduard Bendemann hervorheben als den Einzigen, der sein Theil Schnlempfindsamkeit auf dem Gebiete der religiösen Malerei würdig zum Ausdruck brachte.