Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

Das wichtigste Ereigniß im Opernhause war aber natürlich die Ausführung des Tannhäuser" in der Form, die ihm der Meister gegeben, als er sein volks- thümlichstes Werk im Jahre 1861 sür die Pariser große Oper herrichtete. Diese neue Fassung, welche Wagner in seinen gesammelten Schristen alseinzig gültig" sür die Anssührung bezeichnet, unterscheidet sich von der ursprünglichen Gestalt der Oper vor­nehmlich durch die breitere Ausführung der beiden ersten Scenen: des Bacchanals im Hörselberge und der Zwiesprache zwischen Venus und Tannhäuser. Von weniger eingreifender Bedeutung sind einige Aenderungen und Auffrischungen in den folgenden Acten, obwohl auch in diesen Kleinigkeiten die sichere Hand des mit gereister Einsicht nachbessernden Künstlers bemerkbar ist. Dagegen bekam das Werk sür Berlin einen ganz neuen Anblick durch die Beseitigung der bisher beliebten zahlreichen, zum Theil sehr wider­sinnigenStriche", d. h. Abkürzungen, und die Wiederherstellung des Textes zu der Voll­ständigkeit, die ihm sein Schöpfer 1845 gegeben und durch seine Bearbeitung im Jahre 1861 als seinem künstlerischen Willen entsprechend anerkannt hatte. Was das heißen will, vermag nur Der voll zu würdigen, der das große Finale des zweiten Actes, dessen Wirkung nicht zum wenigsten in der breiten Anlage und dem mächtigen Ausbau des Ganzen liegt, früher hier in seiner, ohne Rücksicht auf Ebenmaß und Verhältniß der einzelnen Theile verkürzten Form kennen gelernt hat. Nicht ganz so einig wie in der Anerkennung der hierin geschaffenen Besserung sind die Stimmen, wo es sich darum handelt, die Vorzüge der ursprünglichen Form und der Pariser Bearbeitung gegen einander abzuwägen. Die einfachere und kürzere Fassung der Venusbergscenen, wie sie Berlin seit 1856 kennt, hat viele und beredte Vertheidiger gefunden, und ihre Ein­würfe gegen die nachcomponirten Stücke lassen sich nicht so leicht zurückweisen. Zunächst ist Wohl zuzugestehen, daß durch die Erweiterung der beiden ersten Scenen auf den doppelten Umfang die Oekonomie des Dramas etwas gestört ist. Aber andererseits sollte auch anerkannt werden, daß die Charaktere der Venus und des Tannhäuser wesentlich vertieft sind und die Handlungsweise des Letzteren nunmehr besser begründet erscheint. Auch kann es nur als Vorzug gelten, daß der Sängerkrieg aus der Wartburg etwas gekürzt ist und nun einzig und besser der Entfaltung der Hauptcharaktere dient. Kaum zu entkräften ist der Vorwurf der Stilmischung; denn in der That sind durch die neue Fassung in denTannhäufer", der von Haus aus zwischen zwei Stilarten, der romantischen und derjenigen der großen Oper, unruhig schwankte, Elemente des neuen musikdramatischen Stiles gekommen. Da aber dieselben nur in den Scenen am Liebeshofe der Venus, die sehr wohl eine besondere charakteri­stische Färbung vertragen, zur Herrschaft kommen und auch hier vornehmlich in der Art und Weise sich kundgeben, wie Wagner das thematische Material der alten Oper umbildet, wird der Eindruck stilistischer Ungleichheit etwas verwischt und nur das Preislied auf die Liebesgöttin mit seiner billigen Melodik stört den Einklang in der Ausdrucksweise erheblich. Doch was wollen alle diese Mängel und Ausstellungen besagen gegen die Thatsackie, daß wir in den beiden später hinzugefügten Scenen des Tannhäuser" eine der großartigsten und jedenfalls die farbenprächtigste Schöpfung des gereiften Meisters besitzen!

Ueber die Neuaufführung der komischen OperDoctor und Apotheker" von Karl Ditters von Dittersdorf können wir uns kurz fassen. Das köstliche Werk, das wie derFigaro" Mozart's im Jahre 1786 entstanden ist und nur zweiundeinhalb Monate nach dieser Meisteroper seine erste Aufführung erlebte, gehört zu den Schöpfungen jenes Schlages, denen eine unverwüstliche Lebenskraft innewohnt, so daß man von ihnen allzeit eine fördernde Anregung erwarten darf. Unsere Tonkünstler könnten viel, sehr viel von dem alten Dittersdorf lernen; in der treffenden und knappen Charakteristik seiner Figuren steht er jetzt noch unübertroffen da.

Macht sich auf dem Gebiete der Oper zwar wenig Leben, aber doch immerhin einige Bewegung und das lebhafte Bestreben nach Besserem bemerkbar, so herrscht da­gegen über unseren großen Chorinstituten völlige Ruhe und der Frieden des Kirchhofes.