Issue 
(1891) 66
Page
297
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Berliner Musikleben.

297

Form nach, und als Charakteristik der verweichlichten Sprößlinge einer überfeinerten Kultur läßt es sich etwas gar zu russisch, um nicht zu sagen tartarisch, an.

Erfreulicher war die Ausbeute an Neuheiten, welche die fünf Symphonie­abende der königlichen Capelle lieferten. Diese Concerte sind nunmehr vom Concertsaal in den Theaterraum des Opernhauses verlegt worden, ein Raumwechsel, der nicht nur in Beziehung auf die verbesserte Schallwirkung zu billigen, sondern namentlich auch deshalb aufs Freudigste zu begrüßen ist, weil die Verfügung über eine bedeutend größere Zahl von Plätzen auch für kleine Börsen den Eintritt ermög­licht. Es ist aber für den Fortbestand dieser Concerte von großer Wichtigkeit, daß sie mit weiteren musikalischen Kreisen wieder Fühlung gewinnen, wie es andrerseits für das Berliner Musikleben nur von Vortheil sein kann, wenn der Klangsinn der Hörer etwas stärker entwickelt wird. Als wichtigste Neuerung im Programm dieser Abende ist die Aufführung einer symphonischen Dichtung von Franz Liszt:Nasso, lumknto 6 trionko" zu bezeichnen, durch welche Herr Sucher sich ein großes Verdienst erworben hat. Eine künstlerische Persönlichkeit von so hervorragender Be­gabung wie Liszt hat auf alle Fälle ein Recht darauf, vernommen zu werden, und es kann der musikalischen Entwicklung keineswegs frommen, wenn er einfach bei Seite geschoben wird, da der Einfluß feiner Werke, führ^ 'er nun nach rechts oder nach links, nicht aufzuheben ist, falls sie nur lebensfähige Keime in sich tragen. Liszt schrieb seinenTasso" im Jahre 1849 zur Weimarer Goethefeier; vierzig Jahre hat man dem Werke also die geheiligten Räume des königlichen Concertsaales verschlossen und als man ihm endlich die Pforten öffnete, wurde es doch mit Jubel empfangen. Von den eigentlichen Novitäten, einer Symphonie in O-moll (ox>. 57) von Aug. Klughardt und einer Symphonie in E-äur (Nr. 2) von Fried- E. Koch, möchten wir der letzteren, als dem lebensfrischeren Werke den Vorzug geben. Es gebricht der Tondichtung des begabten Künstlers, der als Cellist der königlichen Capelle angehört, zwar an einem einheitlichen, das Ganze beherrschenden und zu­sammenhaltenden Gedanken, so daß sie in vier einzelne Stimmungsbilder zerfällt, allein diese selbst verrathen eine so blühende Einbildungskraft und sind mit so viel Geschick und Geschmack gezeichnet, in so lebhaften Farben gemalt, daß man den rauschenden Beifall, den sie fanden, wohl begreifen kann. Die Symphonie von Klughardt bemüht sich offenbar mehr um Wahrung des alten Symphoniestiles und ist entschieden auch gelehrter und geistreicher gearbeitet, allein dieser Geist ist nicht eben eigenartig zu nennen, und aus solcher Gelehrsamkeit spricht zu viel die kleinliche und äußerliche Art eines Eklektikers. Als einer der schönsten Abende sei zum Schlüsse hier der Beethoven-Feier gedacht, welche unter der Leitung des Herrn Kahl eine wohl gelungene Aufführung derNeunten" brachte.

Mit einem Worte des Dankes an das Meisterquartett der Herrn Joachim und Genossen, dem wir die schönsten Stunden der verflossenen Concertzeit schulden, wollen wir unsern ersten Bericht schließen, da wir die bedeutsamsten Erscheinungen des Solisten- und Virtuosenheeres einer späteren Besprechung Vorbehalten müssen. Von den herrlichen Gaben, die uns dieses berühmteste Quartett des deutschen Reiches spendete, wollen wir nur die ergreifend schöne Wiedergabe des großen - Quartettes

ox. 132 von Beethoven und die Aufführung zweier Novitäten hervorheben. Unter den letzteren gebührt dem neuen Streichquintett von Brahms der Vorrang. Es gehört zu den durchsichtigsten und freundlichsten Arbeiten des Tonsetzers und strömt namentlich in den beiden Mittelsätzen, die in dem Brahms besonders eigenen Hell­dunkel gehalten sind, ein stilles Behagen aus. Dagegen erscheint der erste Satz in seinem Versuch, orchestrale Effecte nachzubilden, nicht besonders glücklich und vermag auch trotz der äußerlichen Aufgeregtheit des ersten Themas und der abschließenden Coda den Hörer nicht mit sich fortzureißen. Der vierte Satz, ein kurzes, übermüthiges Tonstück mit einer ungarischen Tanzweise, gibt dem Werke einen unvermutheten Ab-