Politische Rundschau
Berlin, Mitte Januar.
Im preußischen Landtage sowohl als auch im deutschen Reichstage, die ihre Arbeiten nach den Weihnachtsferien wieder ausgenommen haben, muß lebhaften Debatten entgegengesehen werden. Handelt es sich im preußischen Abgeordnetenhause um die in großem Stile geplante Resormgesetzgebung, so wetterleuchtet im deutschen Reichstage bereits die Frage des neuen Handelsvertrages mit Oesterreich-Ungarn, in Bezug auf welchen ein vielerörterter Artikel der „Hamburger Nachrichten" die öffentliche Meinung alarmirt hatte. Im preußischen Parlamente ist es vor Allem die Landgemeindeordnung, die trotz ihrem friedlichen Namen mit Zündstoff gefüllt zu sein scheint. Sehr bezeichnend für die Situation ist die Thatsache, daß die konservativen Parteien im Gegensätze zu den liberalen, die auf dem Standpunkte der Regierungsvorlage stehen, eine abweichende Haltung einnehmen, die in den Beschlüssen, welche bisher von der mit der Prüfung betrauten Commission gefaßt worden sind, ihren charakteristischen Ausdruck gesunden hat.
Daher konnte es nicht überraschen, als der Minister des Inneren am Schluffe einer Commissionssitzung im Namen der Staatsregierung erklärte, daß diese gegen die Beschlüsse der Mehrheit der Commission, insbesondere gegen die in ihnen enthaltene Einschränkung der landesherrlichen Befugnisse und gegen die Ablehnung jeder Mitwirkung der Staatsverwaltungsbehörden zu Gunsten einer Erweiterung der Befugnisse der Selbstverwaltungsbehörden Widerspruch erheben müsse und diese Beschlüsse als Grundlage einer neuen Landgemeindeordnung nicht für geeignet erachten könne. Der Conflict ist ein so wesentlicher, daß an eine Nachgiebigkeit von Seiten der preußischen Regierung nicht gedacht werden kann. In einer „inspirirten" Kundgebung wird denn auch von Neuem betont, daß der Minister des Inneren lediglich im Namen der Staatsregiernng gesprochen habe, so daß diese ruhig und abwartend dem weiteren Verlaufe der Dinge entgegensehen, sowie annehmen könne, jene Regierungsäußerung werde ihre Wirkung thnn. Hervorgehoben wird zugleich, wie bei dem streng kollegialen Verfahren, das im preußischen Staatsministerium herrsche, auch bei allen weiteren Verhandlungen der Frage stets das Staatsministerium als solches Stellung nehmen werde, wobei begreiflicherweise dem Minister des Inneren als Verantwortlichem Ressortchef ein hervorragender Antheil zusalle. Daß die Staatsregierung möglichen, mit dem Geiste der Vorlagen zu vereinigenden Abänderungsanträgen gegenüber sich entgegenkommend Verhalten werde, haben die Aeußerungen eines anderen Ressortchefs, des Finanzministers, bei der ersten Berathung der Steuervorlagen bekundet. Dagegen wird in aller Form darauf hingewiesen, daß die Regierung ihre Absichten nicht in das directe Gegentheil verkehren oder die Vorlagen überhaupt dilatorisch behandeln lassen werde. So erscheint es nur als eine gefällige Redewendung, wenn es als „vorschnell" bezeichnet wird, schon bei dem jetzigen Stadium der Sache von einem „Konflikte" zu sprechen, oder wenn gelegentlich einfließt, daß an die Anwendung irgend welcher „heroischen Mittel" sicherlich noch nicht gedacht worden sei. Dieses „heroische Mittel" wäre aber die Aus-