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Deutsche Rundschau.
lösurig des Abgeordnetenhauses, falls die conservativen Parteien bei ihrer Opposition beharrten.
Daß die Staatsregierung die Landgemeindeordnung nicht dilatorisch behandeln lassen will, ergibt sich mit Nothwendigkeit aus der Reformbedürstigkeit der ländlichen Zustände in den östlichen Provinzen. Benutzen doch die socialdemokratischen Führer diese von ihnen nach dem üblichen Recepte übertriebene, in den grellsten Farben geschilderte Reformbedürstigkeit bereits als Schlagwort, um ihre Agitation mitten unter die Landbevölkerung zu tragen. In dem betreffenden Ausrufe heißt es unter Anderem: „Unsere Brüder draußen auf dem flachen Lande, die in Ställen und Hütten Hausen, deren Lebenshaltung in den meisten Fällen eine menschenwürdige nicht genannt zu werden verdient, die heute noch unter dem Drucke derselben Frohnden seufzen wie damals, als die Leibeigenschaft dem Namen nach noch nicht abgeschafft war, die allen Fährnissen und Drangsalirungen des Großcapitals noch ungeschützter gegenüberstehen als die Arbeiter in den rußigen Fabriken und dumpfen Werkstätten — alle diese arnien, ausgebeuteten Landarbeiter sollen zu uns herübergezogen werden; auch ihnen soll der Morgenschein der neuen, der kommenden Zeit gezeigt werden; auch sie sollen wissen, daß sie ein Anrecht haben an der herrlichen Natur, die sie so oft mit blendender Fülle umgibt, ohne daß sie nach den Früchten, welche die Erde uns Allen schenkt, auch nur die Hand ausstrecken dürfen. Unseren Brüdern von dem flachen Lande muß gezeigt werden, daß das sogenannte patriarchalische Regiment, welches von unseren Latisundienbesitzern angestrebt wird, sowohl der Todfeind des Landproletariats als des kleinen Grundbesitzers ist." Wie trügerisch auch der Wortschwall dieser Phrasen ist, thut die Regierung doch nur ihre Pflicht, wenn sie die von ihr als Mängel und Mißstände erkannten ländlichen Verhältnisse nach besten Kräften zu reformiren bestrebt ist. Wie sich bei Gelegenheit des von der Socialdemokratie als Arbeiterfeiertag willkürlich festgesetzten 1. Mai im vorigen Jahre zeigte, daß es nur des entschlossenen Vorgehens und Zusammenhaltens der bürgerlichen Gesellschastsclassen bedarf, um dem Anstürme der Gegner erfolgreich die Spitze zu bieten, erscheint es auch angemessen, für die berechtigten Beschwerden der ländlichen Bevölkerung Abhülfe zu schaffen, um dann im Bewußtsein des eigenen guten Rechtes jedem ungesetzlichen, willkürlichen Verhalten mit Entschiedenheit entgegentreten zu können.
Im deutschen Reichstage werden neben den Debatten über den abzuschließenden Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn diejenigen über die deutsche Colonialpolitik ein besonderes Interesse beanspruchen, zumal Aufklärungen über die unangenehme Ueber- raschung erwartet werden dürfen, die durch die Nachricht von der Rückberufung Emin Paschws veranlaßt worden ist. Aus dem am 30. December v. I. vom „Reichs- Anzeiger" veröffentlichten Berichte des Majors von Wißmann ergibt sich allerdings, daß der Reichscommissar die Mission Emin Paschws im Inneren nur unter gewissen Voraussetzungen für beendet erklärt, indem er die Aufgabe der Expedition genau definirt; die Begründung läßt jedoch aus einen tiesergehenden Conflict schließen, der um so mehr bedauert werden muß, als beide Männer wohl berufen wären, ihre reiche Begabung und ihre genaue Kenntniß des dunklen Erdtheils in den Dienst der deutschen Colonialpolitik zu stellen. Der Reichscommissar, dessen Wirksamkeit in der bisherigen Stellung und mit den bisherigen Machtbefugnissen am 1. April d. I. ihren Abschluß erreicht, hat seine Maßnahmen unter eigener Verantwortlichkeit getroffen, so daß die Leitung der deutschen Colonialpolitik die weiteren Aufklärungen abwarten muß. Jetzt bereits kann aber daraus hingewiesen werden, daß im Hinblick auf die vom deutschen Reichstage gewährten Mittel die Colonialverwaltung in Ostasrika vor Allem die Ausgabe hat, dis Küste und die zu ihr führenden Karawanenstraßen im Zustande voller Sicherheit zu erhalten. Zurückhaltung in Bezug aus das Innere erscheint, abgesehen von der Sicherung der Karawanenstraßen und etwa noch anzulegender Stationen, zunächst um so mehr geboten, als eine geordnete Verwaltung, wie sie vom 1. April d. I. an in bestimmte Aussicht genommen ist, unter anderen Voraussetzungen gar nicht erfolgen kann. Erst wenn der hauptsächliche Zweck erreicht ist, wären die betheiligten