Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

sich vernehmen ließ, ermangeln auch die chauvinistischen Organe nicht, die große Mehr­heit, mit der Freycinet in den Senat wieder gewählt worden ist, als ein bedeutsames Symptom zu bezeichnen, da gewissermaßen eine nationale Demonstration bezweckt worden sei. Der Wahl Freycinet^s im Seinedspartement, das in der Zeit des Boulanger-Taumels noch ganz andere politischeLeistungen" verzeichnen durfte, steht jedoch die Wahl Jules Ferry's, des hervorragendsten unter den französischen Staats­männern, im Vogesendspartement gegenüber. Es darf daran erinnert werden, wie Jules Ferry bei den letzten allgemeinen Wahlen für die Deputirtenkammer einem un­bekannten boulangistischen Mitbewerber unterlegen ist. Wird nun aber von den Wider­sachern Jules Ferres, der es stets verschmäht hat, durch volltönende Worte an die nationalen Leidenschaften seiner Landsleute zu appelliren, hervorgehoben, daß das bei den Wahlen für die Deputirtenkammer geltende allgemeine Stimmrecht die wirkliche öffentliche Meinung deutlicher widerspiegele als das Wahlsystem für den Senat, so handelt es sich doch eben um eine Gegenüberstellung zweier Senatswahlen, so daß diejenige Freycinet's nicht mit anderem Maße gemessen werden darf wie diejenige Jules Ferry^s. Man wird denn auch nicht bei der Annahme sehlgehen, daß in den schroffen Urtheilen über den neugewählten Senator die Eifersucht gegenüber dem be­deutenden Staatsmanne eine wichtige Rolle spielt. Noch ist in Aller Erinnerung, wie Jules Ferry als Ministerpräsident gestürzt wurde, weil er in der Tongking- Angelegenheit schwere politische Sünden begangen haben sollte. Obgleich sich damals sehr bald die vollständige Grundlosigkeit der erhobenen Vorwürfe erwies, behielt Jules Ferry doch bis aus den heutigen Tag den Beinamen: ,ste Touüinow"; nur daß die noch entschiedeneren Chauvinisten zur Abwechselung auch die Bezeichnung:Io Urussisu" wählten. Diese Behandlung hat sich Jules Ferry dadurch zugezogen, daß er freund- nachbarliche Beziehungen mit Deutschland um so mehr für geboten erachtete, als Frankreich in seiner auswärtigen Politik doch auch andere Interessen zu pflegen hat als diejenigen, die sich aus den Revancheideen ergeben, so daß es nicht unablässig hypnotisch starr nach der Bresche in den Vogesen" Hinblicken darf. Zu seinem Schaden unterließ Jules Ferry nicht, in wirklich patriotischer Weise diese Thatsache zu constatiren. In diesen Tagen noch mußte er sich gegen die von der gesummten chauvinistischen Presse erhobenen Anschuldigungen vertheidigen, daß er im Jahre 1885 in der Unterhaltung mit einem Berichterstatter die Ueberlegenheit der deutschen Armee gegen­über der französischen behauptet habe. Diese Organe würden jedenfalls besser daran thun, sich zu erinnern, wie Oberst Stoffel seiner Zeit ebenfalls Berichte über die preußische Armee nach Paris gelangen ließ, deren Nichtbeachtung für Frankreich die verhängnißvollsten Folgen hatte. Unterliegt doch jetzt bereits keinem Zweifel, daß ohne die Jsolirung, die Frankreich selbst gewählt hat, die Aussichten der republikanischen Regierung in der ägyptischen Angelegenheit, auf die jenseits der Vogesen das größte Gewicht gelegt wird, vor Jahren sich günstiger gestaltet hätten, falls sie nicht vorgezogen, lediglich der Phantasie einer Allianz mit Rußland nachzujagen.

Die Vorgänge, die sich an die Ermordung des russischen Generals Seliwerstow in Paris knüpften, haben allerdings gezeigt, wie weit entfernt das französisch-russische Bündniß noch von seiner Verwirklichung ist. Mögen immerhin die Pariser Journalisten, die dem Mörder des russischen Generals, dem Nihilisten Padlewski, bei seiner Flucht behülslich waren, in erster Instanz zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt worden sein; mag auch der Präsident des Gerichtshofes seiner Liebedienerei gegen den russischen Botschafter zu Paris in einer des hohen Amtes eines Richters wenig würdigen Weise Ausdruck geliehen haben: so beweist doch die Theilnahme und Unterstützung, welche der Verbrecher Padlewski nach der Ermordung des russischen Generals sogleich von Seiten der ultraradicalen Presse gesunden hat, eine wie tiefe Kluft das autokratische Rußland von dem mehr als demokratischen Frankreich trennt. Alle Verbrüderungs­bankette, alle demonstrativen Kundgebungen bei Theater- und Cirkusvorstellungen werden an dem wirklichen Zustande der Dinge nichts ändern.