Politische Rundschau.
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Nicht verhehlt werden darf, daß zwischen Rußland und Frankreich auch ohne die Abschließung eines Allianzvertrages im Falle eines europäischen Krieges gewissermaßen eine eommuuio ineiäsus bestehen könnte, insofern Rußland die Durchführung seiner Pläne im Oriente anstreben würde, während Frankreich anderwärts sein Glück versucht. Gegen eine solche Eventualität bietet nun gerade das europäische Friedensbündniß Deutschlands mit Oesterreich-Ungarn und Italien die sicherste Garantie, die seltsamerweise durch Frankreich selbst verstärkt worden ist, indem dessen besitzende Bevölkerung sich als ungemein aufnahmefähig für russische Anleihen erwiesen hat. Die Friedensliebe dieser Bevölkerung erhält dadurch eine willkommene Grundlage.
So erweist sich der politische Horizont nach wie vor als ein ungetrübter; der Conflikt, der eine Zeitlang zwischen dem Quirinal und dem Vatican zu drohen schien, war jedenfalls nicht geeignet, die öffentliche Meinung zu beunruhigen. Wie zutreffend es auch erscheinen mag, daß die Verordnung Leo's XIII., nach welcher für den Besuch der Museen und Galerieen des Vaticans in Zukunft ein Eintrittsgeld erhoben werden soll, im Widerspruche mit dem italienischen Garantiengesetze steht, wäre doch der jüngste Vorgang wenig geeignet, zu einer Haupt- und Staatsaction aufgebauscht zu werden. Obgleich durch das erwähnte Gesetz die Kunstschätze des Vaticans für nationales Eigenthum erklärt werden, hat die italienische Regierung diesmal doch bereits daraus verzichtet, gegen eine Maßregel einzuschreiten, die von Seiten des Papstes eine zu weit gehende Ausübung seiner vermeintlichen Rechte bedeuten soll. Der Einwand der römischen Curie, daß das Garantiengesetz von ihr überhaupt niemals anerkannt worden sei, ist von den der italienischen Regierung nahestehenden Organen dadurch entkräftet worden, daß ein rechtsgültiges Staatsgesetz keiner besonderen Anerkennung bedürfe, daß überdies der Papst von gewissen ihm durch dieses Gesetz gewährten Privilegien bereitwilligst Gebrauch gemacht habe. Von Interesse bleibt jedenfalls, daß die Principiensrage bei diesem an sich nicht bedeutsamen Vorgänge aufgeworfen ist, so daß im Vatican kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die italienische Regierung in einem ernsteren Falle die Staatshoheit nicht kränken lassen würde. Wird doch bereits daraus hingewiesen, daß bei einer Erledigung des päpstlichen Stuhles, wie sie unlängst aus Anlaß der erfreulicher Weise grundlosen Nachrichten über den ungünstigen Gesundheitszustand des Papstes zur Erörterung gestellt wurde, die italienische Regierung, aus das Garantiengesetz gestützt, die Souveränetätsrechte des Königs im eigenen Lande zu wahren wissen werde. Beinahe gewinnt es den Anschein, als ob die unversöhnlichen Elemente des Cardinalcollegiums, indem sie nach glaubhaften Berichten den französischen Cardinal Lavigerie zu früh auf den Schild erhoben, ihren Feldzugsplan verrathen haben. Der Anschluß an die republikanischen Einrichtungen, den Cardinal Lavigerie unlängst in ziemlich auffallender Weise vollzogen hat, erscheint in einer eigenartigen Beleuchtung, sobald das Streben des Kirchenfürsten nach der Tiara in Betracht gezogen wird.
Für Italien könnte es jedoch nicht gleichgültig sein, wenn ein französischer Cardinal den päpstlichen Stuhl bestiege, zumal der demonstrative Charakter einer solchen Wahl, die im Widerspruche mit den nur durch wenige Ausnahmen unterbrochenen Traditionen des Cardinalcollegiums stehen würde, offenkundig wäre. Gerade jetzt muß die italienische Regierung Gewicht darauf legen, daß ein Papst italienischer Nationalität gewählt werde, weil andernfalls die unablässigen Versuche, die von Frankreich aus gegen den Bestand der italienischen Staatseinrichtungen unternommen werden, im Vatican ein noch innigeres Verständniß und einen noch fruchtbareren Boden finden könnten, als dies bisher bereits der Fall war. Im Interesse des religiösen Friedens würde die Wahl eines französischen Kardinals zum Nachfolger Leo's XIII. sehr bedauerlich sein, ja eine ernsthafte Gefahr bedeuten. Deutschland wäre in hohem Maße bei der Lösung dieser Frage betheiligt, die, durch die besseren Nachrichten über das Befinden des Papstes mehr in die Ferne gerückt, immerhin geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Staatsmänner in Anspruch zu nehmen. Die italienischen Mitglieder des Cardinalcollegiums werden allerdings nicht ermangeln, die Pläne Lavigerie's und seiner Anhänger zu durchkreuzen, da gerade das maßvolle Verhalten Leo's XIII.