Literarische Rundschau.
Neue Novellen.
Neue Geschichten des Majors. Von Hans Hopfen. Berlin, Gebrüder Paetel. 1890.
Neue Novellen. Von Margarethe von Bülow. Berlin, Walther L Apolant. 1890.
Florentiner Novellen. Von Isolde Kurz. Stuttgart, I. G. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung. 1890.
Will man einen guten Roman im realistischen Sinne mit dem Ausschnitt aus dem Leben vergleichen, den ein Spiegel zurückwirft, so müßte die Novelle ihr Seitenstück finden etwa in den kleinen unruhigen Bildchen, die von den Schliffslächen eines Brillanten widerstrahlen. Auch der Spiegel hat einen Rahmen, mit dem seine enge Welt abschließt, und nur ein Kind tastet aus seiner graden Fläche nach den wahren Dimensionen des Lebens; aber die räumliche Einschränkung bleibt etwas Zufälliges, und die höchste Errungenschaft ist, wenn das Auge das Platte Mittel vergißt und im Scheinbilde eine neue Wirklichkeit zu schauen wähnt. Anders bei der Novelle, bei den schillernden Reflexen des geschliffenen Edelsteins; hier ist das Medium nothwendig selbst eine Macht, an den gegebenen Größenverhältnissen liegt Alles: die Fassung im Goldreifen, der vielleicht noch eine schöne Hand ziert, kann nie unwesentlich werden; und selbst ein der Klarheit des Bildes gefährlicher Glanz, eine Beugung des ruhigen Lichtes zu märchenhaft unerwarteten Farben ist man wenigstens gewöhnt, als Zeugniß für die echte Zauberkraft des Königs unter den Steinen mit in den Kauf zu nehmen. Unvergleichlich viel mehr als beim Roman sieht man bei der Novelle die Kunst. Wie schwach sind selbst Romane, die wir zu unfern besten rechnen, im Gesammtbau — und wie sehr wird diese Schwäche überdeckt durch die Fülle der Gedanken, durch das Riesenhafte der Perspective, in der sich der nachschauende Blick willig verirrt, um den Schauer des Gewaltigen, Schrankenlosen auszukosten, den das im Kleinlichen verzettelte Leben in der Wirklichkeit so selten gewährt. Und wie grell, wie widerwärtig sprengt bei der Novelle der geringste Compositionssehler den Genuß! Das Umgekehrte, der Vorzug vor dem Roman, ist dabei nicht in demselben Maße stark: eine Novelle kann schon ein Muster seiner Formtechnik sein und erwärmt doch noch nicht; unendliche Mühe kann verschwendet sein, und doch kann die Seele fehlen. In der That: die Novelle braucht mehr Kunst und trotzdem im Grunde sogar noch mehr Seele als der Roman, concentrirtere Seele, wenn das Wort erlaubt ist. Und wenn sie alle diese Vorzüge besitzt, so ist sie zwar eine vortreffliche Novelle, aber im Werthe noch lange nicht einem guten Romane gleich. Die höchste sittliche, die Menschheit wahrhaft fördernde Gewalt, das im letzten Sinne Ausrichtende wie Zerschmetternde des großen, weltspiegelnden Epos kann die Novelle ihrer Natur nach niemals erreichen, und wer Novellen schreibt, muß sich in diesem Punkte bescheiden. Wäre nur wenigstens die Erkenntniß allgemein verbreitet, wie außerordentlich schwer die Novelle ist, wenn
Deutsche Rundschau. XVII, 5. 20