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Deutsche Rundschau.
ein Wort des Dichters hören, das diesen Kontrast nicht als den berechtigten anerkennt. Und das ist nur ein Fall, — die ganze Geschichte leidet bei aller dramatischen Kraft an ähnlichen. Wenn es unumgänglich nöthig war, aus diese Dinge hinzuweisen, so ist mit desto größerer Bereitwilligkeit anzuerkennen, wie sehr die guten, die nach jeder Richtung bedeutenden Eigenschaften Hopfen's in der letzten der drei Novellen, „Schneidiges Liebchen" sich zu einem vollen Triumphe vereinigen. Das Humoristische, wie das Romantische der Erstlingsliebe ist entzückend geschildert. Das ist ja nun wieder die ganze prächtige Kraftleistung eines Poeten, der an Keller heraufreicht, wie die tolle Geschichte von dem Gurkengericht in der Cholera vorgetragen wird, wie kein einziger Zug in grobe Situationskomik ausartet, sondern wie Strich an Strich sich mit dem echten Zauber lustigen Lebens reiht. Hopfen ist kein Verschwender bei Naturfchilderungen, aber die kurze Schneefcene im Morgengrauen ist eine Perle in ihrer Art. Ein Schritt — und aus dem „Abenteuer", aus einer „Weingeschichte des Majors" wäre eine Novelle von kulturhistorischem Werth geworden, eine bitter ernste Satire auf moderne Mädchenerziehung. Das allerdings hat der Dichter nun wieder nicht gewollt. Vielleicht hat er gedacht, die Moral könne sich Jeder selbst ziehen. Aber ich fürchte, aus so friedlichen, so liebenswürdigen Geschichten zieht man keine Moral; das böse Mädchen der Novelle besticht, anstatt abzuschrecken. Wie man sich dazu stellen mag: aus alle Fälle ist diese dritte Novelle ausgezeichnet; sie ist das Beste, was mit dieser Methode überhaupt zu erreichen war. Sehen wir uns jetzt eine andere Methode an.
Turgenjew ist eine Riesenmacht in unserer Novellistik, — das wird erst die künftige Literaturgeschichte voll zu würdigen wissen, die ästhetische Stammbäume entwirft. Wie zu erwarten war, ist sein Einfluß besonders in der schreibenden Frauenwelt ein ungeheurer geworden, dort, wo Tolstoj, wo Dostojewski, wo Balzac und Zola nicht eindringen konnten oder eindringend die Kraft des Gemüthes, die grade die Frau besitzt, lähmten. Das Buch, welches hier Anlaß gibt, des großen Meisters zu gedenken, kann man nicht ohne eigenartige Gesühlserregung zur Hand nehmen. Vor sechs Jahren ist Margarethe von Bülow auf dem Rummelsburger See verunglückt. Jetzt erst kommt ihr Nachlaß ans Licht. Und mit einem Schmerz, der vor der literarischen Ueberproduction des Tages etwas Seltenes geworden ist, darf der Kritiker anerkennen, daß hier in der That die genialste Schülerin des gewaltigen Sehusuchts- und Resignationsdichters Turgenjew uns entrissen ist. Die That, die zu ihrem frühen Ende führte, war eine echt menschliche, die Rettung eines zweiten bedrohten Lebens. Vor einem Ereigniß solcher Art schweigen die Wünsche; man gedenkt des alten Satzes, daß ein Menschenleben köstlicher ist als tausend Verse — und sei es das Leben des Geringsten. Um so offener darf das Lob sich an das Wenige heften, das jetzt wie eine Stimme aus dem Grabe der jungen Dichterin zu uns kommt. Der Boden, aus dem alle Novellen dieses Bandes erwachsen, ist die zerrissene Weltanschauung beim Uebergange von einer Zeit in die andere, ein Rest von unbeweisbarer Herzenswärme, die mit einem kalten Hauche streitet, den der Verstand als das Berechtigte anerkennt, Zauber der romantischen Sommernacht im Kampfe mit der herben Frühlust, die aber doch schließlich den klaren Tag bringen wird, und, aus der Müdigkeit des Kampfes erwachsend, eine besondere Art von Augenblickspeffi- mismus, der selbst nicht an seine Dauer, seinen absoluten Werth glaubt. Nicht „nach uns die Sündfluth", sondern „nach uns die Glücklicheren" lautet der Trost, — aber für die Generation des Tages ist er nur ein Scheintrost. So Turgenjew, so auch Margarethe von Bülow. Kein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen dieser Art der Lebensbetrachtnng in ihrer künstlerischen Verkörperung und der gutmüthig- prickelnden Erzählerweise Hopsen's. Man lese die zweite Novelle „Die Frau". Da ist kein Wort zu viel, keine Stilarabeske, kein Autor, der uns anlächelt. Und doch Blitz um Blitz aus den Tiefen der Weltanschauung und zum Schluffe eine Lösung, die mit Voller Gewalt ins Große, Weltüberwindende überlenkt. Es ist klar, daß gerade diese Dichterin, ihrem Vorbilde entsprechend, Fühlung suchen mußte mit den socialen Problemen unserer Zeit. Ueber Worte ist sie dabei in diesen Novellen aller-