Issue 
(1891) 66
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Literarische Rundschau.

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stahl der Lucretia, dem Schierlingstrank des Griechenweisen als das Höhere der Tod des gemeinen Soldaten, des niederen Kriegers gegenübergestellt wird:

Der auf dem Felde der Gefahr

Schlicht, unberühmt und unbeneidet,

Der Heimath fern, der Rettung baar,

Und ohne Klagelaut verscheidet.

Die Wahrheit ist, daß Titus Ullrich niemals, auch nicht imHohen Lied" undVictor", ein politischer, sondern immer ein philosophischer Dichter war einer, dem es nicht aus den Triumph dieser oder jener Partei, sondern einzig aus den Fortschritt der Menschheit, aus jene Freiheit ankommt, die der Persönlichkeit das volle Maß zur Entfaltung der von der Natur in sie gelegten Kräfte verbürgt. Da, nicht in irgend einem Utopien im eignen Innern und der harmonischen Ueberein- stimmung mit der umgebenden Außenwelt sucht er das Glück. Er kann es darum nicht finden in der mächtigen Stadt

die meine Heimath-Fremde Seit Jahren schon und die zum Monstrum Ich mählig schwellen sah.

Sein Heim hier,

Hier in der weiten Stadt der Million,

Der Herberge des ewigen Getümmels,

ist nur ein Nomaden-Heim; das wahre Heim ist nur da

wo Du lebst auf eig'nem Grunde Ein volles Dasein, wo vielleicht Schon Deiner Väter Väter wohnten.

Erbesingtdie blaue Blume" nicht jene der Romantik, die hier einst, im märkischen Lande, geblüht; die er meint, ist die Kornblume:

Und gewahret einmal des Greisen Blick,

Auf stillem Pfad vor des Marktes Thoren,

Im Kornfeld zwischen den Halmen verloren,

Die blaue Blume, so lieblich und schlicht,

Verklärt sich Wohl sanft sein Angesicht:

Die Blume ihm dämmert ein holdes Licht

Sie zaubert ihn aus der Welt der Sorgen Zurück in des Knaben Paradies,

Auf das der Himmel einst strahlen ließ Des Lebensaufgangs goldenen Morgen.

Es ist das Lieddas ewig ungesungne" sagt unser Dichter,das ewig un- ansgesungne" möchten wir, ihn bescheiden berichtigend, mit Anastasius Grün sagen das Lied der Sehnsucht, welche stets dieselbe bleibt, mag sie nun vom blühenden User des Arno sich dem Jugendalter der Geister, mag sie von den gilbenden Getreide­feldern in der Umgebung von Berlin sich der entfernten Heimath zuwenden jener Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, in welches die Menschheit, wenn auch nur aus Augenblicke, zurückzusühren, das schöne Vorrecht des Dichters ist.

ü. U.