Issue 
(1891) 66
Page
315
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Literatur und Kunst.

315

sogar das verschweigt, was er klar genug empfindet. Wir empfangen hier als Wichtigstes die Geschichte des langsamen Fortschrittes der Arbeit an Rauch's Friedrichs­denkmal, sowie an Rietfchel's Lessing und dem weimarischen Doppelbilde.

Der wahre Werth dieser Publication wird erst erkannt werden, wenn wir über das heutige Kunsttreiben hinaus sind, dessen phantasietödtende Wirkung bereits ein­getreten ist, das in seiner Uebermacht aber doch noch einige Zeit dauern dürfte. Die heute fast zum Prinzip erhobene Oberflächlichkeit, das Losgehen auf dekorative Wir­kung wäre Rauch wie Rietschel unfaßbar gewesen. Sie empfanden die hohe Ver­pflichtung ihres Talentes. Rietschel's Geist arbeitete sich in die Gedanken ein, für die eine Form zu suchen war. Wie einfach und ergreifend hat er in der Braunschweiger Statue Lesfing hingestellt. Mit dem einen Arme läßt er ihn auf den Stumpf einer abgebrochenen eorinthifchen Säule sich stützen: deutlicher und verständlicher konnte Lessing's Verhältniß zum Alterthum nicht symbolisirt werden, dessen Reste er wieder­herzustellen suchte. Die andere Hand erhebt er zur Brust, auf die sie sich auflegt. Damit war für Lefsing's inneres Leben Alles gesagt. In Rauches Tagebuch steht: 13. November 1855. Mittags von Berlin abgereist. Abends 8 Uhr in Braunfchweig. Rietschel's Denkmal Lefsing's noch besucht; 14. do., anderen Morgens gegen 7 Uhr eigentlich gesehen, ein normales Werk neuer Denkmale." Rauch und Rietschel bewunderten gegenseitig an einander, was sie nicht besaßen. Rietschel fehlte die Sicher­heit, mit der Rauch jede Aufgabe in einfacher Eleganz sofort löste, die Gabe, seine

Schöpfungen in die reine, wenn auch etwas kühle Luft zu stellen, in der sich ihre

Umrisse zur Geltung brachten. Rauch dagegen beneidete Rietschel um das Gesund- durchschnittliche, das freundliche Element, das feine Gestalten dem Volke theuer und verständlich macht. Rietfchel's Lessing ist der Mann, der in einsamer Souveränität die Schicksale überwindet, die die Begleiter seiner Jahre gewesen sind. Rauch's Auf­fassung Lefsing's zeigt ihn am Fuße des Friedrichdenkmals, dessen dem Ausgange der Linden zugekehrte Piedestalfeite die populärste des ganzen Aufbaues ist, gleichgültiger. Wie wenig erkennen wir hier den ganzen Mann.

Wieviel Vortheile standen Rauch für Alles, was die technische Seite feiner Thätigkeit betraf, zu Gebote. Wie gut war er pekuniär und gesellschaftlich im

Vergleiche zu seinem Dresdener Schüler und Freunde gestellt! Rietschel hat sein Leben lang darunter gelitten, für die edelsten Gedanken oft keine Bestellungen, für seine edelsten Bestellungen aber die nöthigen Bedingungen nicht zu finden,

unter denen er sie der vollen Macht seiner künstlerischen Kraft entsprechend ausführen durfte. Seine Klagen, was die Mängel eines genügenden Ateliers anlangt, haben etwas uns Bewegendes. Man empfindet die Kleinheit der Verhältnisse, in denen er lebte. Rauch war hier besser daran. Triumphirend stand er in Berlin da. Umgeben von hochaufragenden Werken seiner Hand, vollendete er endlich noch sein Denkmal Friedrich's des Großen. All der Marmor und die Bronce, die seine Hände geformt hatten, bildeten eine unverwüstlich scheinende Masse blühender Formen, die seinen Ruhm verkündeten. Heute aber schon wird gleichgültig daran vorübergeschritten. Rietfchel's Lesfing und seiner Dichtergruppe zu Weimar ist etwas dem Volke in die Seele Dringendes eigen, das unter Rauches stehenden Statuen nur Blücher hat. Was alle Schöpfungen beider Meister aber besitzen und was denen der heutigen Berliner Sculptur fehlt, ist das directe Verwandtschaftsverhältniß zur griechischen Kunst, die, wie die griechische Sprache, unter allem Menschenwerke der Natur am reinsten entsprang und deren Leben und Wirkung unverwüstlich und unantastbar sind. Als Rauch's tiefstes Werk erscheint die die Reihe der Abbildungen eröffnende hermenartige, überlebensgroße Büste der Königin Luise, die unter dem reinen Einflüsse der Antike und unter dem jugendlichen Ringen mit den Arbeiten Canova's und Thorwaldfen's in Rom entstanden ist. Die liegenden Statuen der Königin erinnern schon mehr an die jütische Kunst. Von den späteren Büsten ist die Goethe's wieder die inhaltreichste, unter allen Goethebüsten die den historischen Gefammtcharakter Goethe's am vollsten darstellende. Aber Dannecker's Schillerbüste scheint geistig doch tiefer zu greifen. Schadow's Goethebüste bietet ein