Issue 
(1891) 66
Page
375
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Spontini in Berlin.

375

Spontini wieder in seinem eigensten Elemente, im großen historischen Drama nach Art desCortez" und derOlympia". Die Composition trägt denn auch einen vonNurmahal" undAlcidor" grundverschiedenen Charakter und verdient mit seinen Pariser Opern in eine Linie gestellt zu werden. In der Größe der Conception kommtAgnes von Hohenstaufen" derOlympia" gleich, sa übertrifft in einzelnen Partien diese noch. Die zweite Halste des zweiten Actes ist eine Leistung, deren Uebergröße kein Seitcnstück in der Opern-Literatur hat. Der Ausdruck der Leidenschaften, welche diese Scenen durchtosen, dürfte ebensowenig zu überbieten sein, wie die gigantische Austhürmung der Massen. Bewundernswerth ist die Neuheit des Localcolorits, das sich von dem desCortez", derOlympia" oder auch desAlcidor" sehr schars unterscheidet. Spontini hat sich der Art deutscher Musik in dieser Oper so weit genähert, wie es seine Eigenthümlichkeit nur ge­stattete: die Harmonisirung ist reicher und gesättigter, den Melodien fehlt nicht ein gewisser nationaler Zug, einzelne Tongänge erinnern an Spohr und selbst an Weber, aber ohne jede sklavische Nachahmung. Etwas Stilgemäßeres als den deutschen Walzer im Finale des ersten Actes kann man sich nicht wünschen. Die sranzösischen Ritter und Troubadours sind im Gegensatz zu den Deutschen nicht weniger gelungen charakterisirt. Durchweg ist die Musik das Ergebniß eines tiefen Eindringens in die dramatische Situation und die Charaktere. Man be­trachte z. B. den Gesang der Nonnen im zweiten Act und vergleiche damit die sentimentalen liedartigen Ergüsse, in denen sich selbst die tüchtigen deutschen Ton­setzer jener Zeit bei ähnlichen Veranlassungen gefallen: man wird erkennen, wie hoch Spontini sie als dramatischer Componist immer noch überragt. Auch kann ich keine Anzeichen entdecken, die auf Erschöpfung der Erfindungskraft hindeuteten. Der Strom der Melodie stießt so frei wie je zuvor, und es finden sich einige Gesänge von einer Breite, einem Schwung, einem Feuer, wie sie ihm in seinen früheren Opern nur selten geglückt sind. Im zweiten Act zeigt das Terzett Ja, statt meines Kerkers Grauen" und das Solo der AgnesNein, König droben" solche hinreißende Züge. Die Kritiker jener Tage behandelten die Oper mit einer unglaublichen Ungerechtigkeit: nur leidenschaftliche Verblendung oder absichtliches Verkennen konnte solche Beurtheilungen zu Tage fördern, wie Rell- stab's Bericht über die Aufführung des ersten Actes im Jahre 1827.Agnes von Hohenstaufen" ist nur in Berlin und auch hier selten gegeben; im Druck erschienen ist das Werk ebenso wenig wieAlcidor". Aber die handschriftliche Partitur existirt, und ihre Prüfung würde zeigen, daß ich des Lobes nicht zuviel gesagt habe. Es sollte niemals zu spät sein, sich ein unparteiisches Urtheil zu bilden; einem solchen würde die Ueberzeugung folgen, daß wir die Verpflichtung haben, eine Wiederaufführung zu versuchen; dennAgnes von Hohenstaufen" ist die einzige Oper, die an Größe der Anlage und Macht der Gestaltung jener großen Zeit deutscher Geschichte würdig ist, aus der sie ihren Stoff entnimmt. Wenn man dies erst einmal vollständig anerkannt haben wird, dann wird es immer noch früh genug sein, auch auf die Mängel des Werkes hinzuweisen.

Es war die letzte Oper, welche Spontini vollendete. Mannigfache neue Pläne und Entwürfe hörten nicht auf, ihn zu beschäftigen, wie dies schon während der zweiten Hälfte seiner Pariser Zeit der Fall gewesen war, wo er sich mit den