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Deutsche Rundschau.
Wer sich diesen Studien widmen möchte, hätte nicht den „Kunsthistorischen", sondern den „Historischen Doctor" zu machen, wobei er sich in Neuerer Kunstgeschichte ja nebenbei examiniren lassen könnte. Aus dieser Ueberzeugung heraus gebe ich jedem jungen Manne den Rath, diesen Weg einzuschlagen. Denn ohne die Unterlage historischen und philologischen gründlichen Wissens ist ein wissenschaftlicher Betrieb der Neueren Kunstgeschichte nicht möglich. Wie unentbehrlich die Neuere Kunstgeschichte als historische Hilfswissenschaft für jeden Historiker sei, werden alle die Historiker wissen, die sich ihrem Studium gewidmet haben. Allerdings erfordert die Neuere Kunstgeschichte, hat man sie einmal zum Lebensberufe gemacht, die Bethätigung des ganzen Mannes; eine besondere Wissenschaft aber ist sie so wenig, daß der bloße Versuch, ihr Grenzen zu ziehen, schon die Unbekanntschaft mit ihrem Wesen anzeigt.
Nicht bloß dieser irrthümlichen Anschauung aber begegnen wir heute, sondern auch der, als müsse der wissenschaftliche Betrieb der Neueren Kunstgeschichte an dieser oder jener Universität in nothwendigem Zusammenhänge mit dem zufälligen Inhalte der auf ihr befindlichen Kunstsammlungen stehen. Diese Meinung vertreten nicht selten die an Kunstsammlungen angestellten Beamten. Vom jetzigen Director der Berliner Bildergalerie sind im Laufe des vorigen Jahres eine Reihe von Meinungsäußerungen bekannt gegeben worden, welche in dieser Richtung geradezu Forderungen stellen und deren Nichtbeachtung den Docenten an der Berliner Universität zum Vorwurfe machen. Dieses Auftreten eines Museumsbeamten darf nicht überraschen. In Berlin liegt der sichtbare Betrieb der Neueren Kunstgeschichte nur in den Händen der Museumsbeamten. Ihnen allein ist die Weiterführung der Umarbeitung des Nagler'schen Künstlerlexikons übertragen worden. Von ihnen wird das „Jahrbuch der königlich preußischen Kunstanstalten" redigirt und zum größten Theile verfaßt. Von ihnen werden die vom Staate unterstützten großen Publicationen von Handzeichnungen besorgt. Durch sie ist der mit Neuerer Kunstgeschichte sich beschäftigende Verein gegründet worden und sie leiten ihn. Das Jahrbuch enthält meist werthvolle Aufsätze, die Publicationen sind meist ausgezeichnete Leistungen. Die betreffenden Herren finden in ihren Wünschen, so weit dergleichen sichtbar wird, volle Befriedigung, und es steht ihnen auch Niemand gegenüber, der diese Vortheile ihnen streitig machte. Es ist deshalb sehr natürlich, daß sie ihre Anschauungen über den wissenschaftlichen Betrieb der Neueren Kunstgeschichte auch aus der Universität als die maßgebenden ansehen, und es liegt nicht in meiner Absicht, ihnen hier zu widersprechen. Allein mein völliges Schweigen würde den Gedanken auskommen lassen, als ob ich mit ihren Anschauungen, auch Was die Universität anlangt, übereinstimmte. Aus diesem Grunde will ich kurz darlegen, wie ich die Sache ansehe, und zwar nicht, indem ich meine Auffassung von Neuerer Kunstgeschichte der Kunstgeschichte der Museumsbeamten gegenüber vertheidige oder gar diese angreife, sondern indem ich nur erzähle, wie meiner Meinung nach die Dinge liegen.