Heft 
(1891) 66
Seite
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Deutsche Rundschau.

stellung der Hofverhältnisse wird uns klar, wie Velasquez als Beamter des Königs gleichsam ein Gefangener war, der, durch einen strengen Dienst in den Mauern des Palastes sestgehalten, sich dem Publicum gegenüber nicht frei entfalten konnte. Und in der so blühenden Beschreibung von Velasquez' Reisen nach Italien tritt hervor, unter wie lebendigeren Verhältnissen dort künstlerisch geschaffen Wurde.

Ich könnte nun noch, die Universitäten aufzählend, denen die Galerien fehlen, Heidelberg nennen, wo v. Oechelhäuser, in vorzüglicher Wirksamkeit thätig, eben zum Professor ernannt worden ist. Ich könnte Breslau noch an- sühren, wo, ganz unabhängig von den dortigen Sammlungen, Schmarsow Vor­lesungen hält. Oder Göttingen, Königsberg, Marburg, Tübingen und andere Universitäten mit Professuren der Neueren Kunstgeschichte, deren Aufhebung gewiß nicht im allgemeinen Interesse liegt. Im Gegentheil, Universitäten ohne Pro­fessuren verlangen deren. Warum begehrt der Herr Direktor der Berliner Galerie trotzdem, es solle an diesen Universitäten ohne größere Sammlungen die besondere Professur des Fachmannes verschwinden? Es müssen Gründe da sein, die dieses Verlangen Hervorrufen, und es müssen auf der anderen Seite stärkere Gründe walten, welche die Regierungen bestimmen, im 'Gegensatz zur Meinung der Museumsbeamten die Professuren nicht nur nicht aufzuheben, sondern ihren Betrieb zu fördern.

Und so ergibt sich die Frage: was suchen die Studirenden in den Vorlesungen über Neuere Kunstgeschichte, und was theilen die Lehrer ihnen darin mit.

III.

Die beiden ersten Jahrtausende der nationalen Phantasiearbeit

in Europa.

Wir werden heute beunruhigt durch die veränderte Stellung, die das maß­gebende Publicum den klassischen Studien gegenüber einnimmt. Sind Gedanken, die wir in griechischer und lateinischer Sprache besitzen und denen bisher der höchste Werth beigelegt wurde, plötzlich (denn die Umstimmung hat etwas Plötz­liches) als gehaltlos erkannt worden? War es ein Jrrthum von Jahrhunderten, die Sprache der Griechen und Römer, sowie das, was die Schriften ihrer Autoren enthalten, zu überschätzen? Oder sind wir es, die dem Jrrthum, durchaus Werth­volles nicht mehr verstehen zu wollen, unversehens als Beute anheimfallen? Hieraus hat Wohl Niemand eine rein abschließende Antwort bereit, Niemand aber auch leugnet, daß zu dieser Frage Stellung zu nehmen sei.

Wir überblicken, rückwärts sehend, eine gewisse Masse von Begebenheiten, die wir mit dem NamenGeschichte" zu umfassen suchen. Gehört alles überhaupt Geschehene der Geschichte an? Ranke meint, die Geschichte beginne da, wo die schriftlichen Denkmäler anfangen. Da wären zwei Begriffe unauflöslich ver­bunden, die an sich nichts mit einander zu thun haben. Es kann etwas ge­schehen sein, das seiner Zeit die Welt umgestaltete und das doch niemals nieder­geschrieben Wurde. Es kann aber auch fälschlicher Weise etwas niedergeschrieben worden sein, das niemals geschah.