Heft 
(1891) 66
Seite
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Das Universitätsstudium der Neueren Kunstgeschichte.

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Menschheitsentwicklung höheren Preis als der Griechenlands. Wir stellen uns auf Seiten Virgil's, wenn er, im Ueb ermäße des siegreichen Gefühls seiner Epoche, in jene stolze Tirade ausbricht, die den ungeheueren Umfang des römischen Selbstbewußtseins scharf ausdrückt H. Hier zeigt sich die ästhetische Barbarei der Römer, die heute aber noch ihre mächtige Vertretung hat. Die Geschichte der Zukunft jedoch wird anders urtheilen, wenn ich meiner Vorahnung des Bevorstehenden hier Worte leihen darf. Die Geschichte der schaffenden Phantasie­arbeit wendet das Verhältniß um^). Ihr zufolge fand mit diesem Wechsel der Politischen Gewalt das Eindringen der griechischen geistigen Arbeit in den römischen geistigen Machtbezirk statt, der die Römer vielmehr den Griechen unterwarf!

Es bedarf, um hier Stellung zu nehmen, der Abwägung zweier Gebiete geistiger Arbeit, die sich einander entgegentreten. Die Entscheidung Derjenigen, welche sich als Repräsentanten der bevorstehenden neuen Generationen fühlen, kann nicht zweifelhaft sein. Politisch-militärische Thatkraft steht heute nur scheinbar höher noch als die, welche ebensogut Dichter, Künstler und Philosophen zu erringen im Stande wären. Das Gefühl, daß nur reine, von allen Neben­bedingungen unabhängige geistige Kraft die Menschheit in den uns bevorstehenden harten Kämpfen retten werde, greift im Stillen um sich. Der Mann, der in Zeiten höchster Noth ein einziges rettendes Wort rufen wird, kann mehr nützen als Tausende, die nichts thun als mit noch so gewaltiger Kraft die Gedanken ausführen, die es enthält. Ein armer verkrüppelter Sklave, der dieses Wort stotterte, würde der Retter sein. Wie hoch die Griechen zur Zeit ihrer politischen Unterwerfung unter Rom über den Römern geistig standen, zeigt die wider­standslose Aufnahme ihrer Gedanken seitens der Römer.

Damit wären die Umrisse dessen gegeben, was die ersten tausend Jahre der bisherigen Menschheitsgeschichte enthalten werden im Lichte der Geschichte der nationalen Phantasiearbeit. Die Schicksale dieser Invasion griechischen Geistes in römisches Gebiet bilden den Inhalt des zweiten Capitels, des zweiten Jahr­tausends. Allein wenn wir für diese Zeit nur von Römern und Griechen reden wollten, so wäre der wahre Inhalt der Epoche nicht angegeben. Meinem Gefühle nach wird eine kommende Zeit die Ereignisse so fassen, daß die Römer weiter noch zurücktreten. Die römische Geschichte, getragen in allen ihren Phasen von Leuten beschränkterer Art, wenn wir sie mit den Griechen vergleichen, nimmt einen zu breiten Platz ein. Ich sehe eine Construction der Weltgeschichte voraus, bei welcher die römische Republik und das römische Kaiserreich bis Diocletian beinahe entbehrlich sein werden.

r) Ae neide, Buch VI, V. 847853:

Lxeuäsnt slii spirniNig, nio11iu8 asra,

Orsäo s^uiäsin, vivo8 äuesnt äs inarinors vultu8.

Du i'SAsrs iiupsrio xopuIo8, koinans, insinsnto:

Uns tivi srunt artS8, paci8<M6 iinponsrs inorsin, karesrs 8udjseti8 st äsdsllars 8uxsi'do8.

2) Wie Horaz in der Epistel an Augustus:

Orassig. eaxta tsruin vistorsin espit st art68 Intniit a§rs8ti I^atio.