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Deutsche Rundschau.
Die Römer sind ein hartes, phantasieloses Volk gewesen, dessen eigentliche Natur von seinen bisherigen Bewunderern nicht in das rechte Licht gestellt worden ist, ein Volk, dessen Größe nicht in dem lag, was die neueren Völker aus bestimmten Gründen eine Reihe von Jahrhunderten in ihm bewunderten. Das Wesen der Römer lag mehr in der Widerstandsfähigkeit gegen zeitliche Fäulniß, nicht aber im Hegen freudiger, rein menschlicher Gedanken und Gefühle, die den Griechen und Germanen eigen sind. Wir heute bilden uns ein, der Geschichte der Römer näher zu stehen als der der anderen Völker, weil von ihr aus fortwährend aus die moderne Geschichte exemplisicirt worden ist. Mit diesen romantischen Gefühlen müssen wir endlich abschließen. Die römische Geschichte lehrt uns für unsere eigene Fortentwicklung nichts mehr. Die Feindschaften und Versöhnungen der Triumvirn sind gleichgültiger als die der Medici, Rovere und Borgia.
Mit dem Absterben des griechischen Phantasielebens am Abschlüsse des ersten Jahrtausends des Christenthums schließt das zweite Capitel der kunsthistorischen Geschichtsdarstellung. Mit den Jahrhunderten, in denen aus eigener Gewalt dann doch innerhalb der Kirche die altgriechische Phantasie- und Gedankenwelt wieder auftaucht, beginnt das dritte. Ein wunderbarer Umschwung tritt in diesen beiden ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung ein. Innerhalb der christlichen Gesammtheit trennt sich die germanische und romanische Welt, unauflöslich beide verbunden und doch jede für sich. Die beiden großen Gedichte, die Nibelungen hier, und die Divina eoin- llmclia dort, bezeichnen erschöpfend um was es sich handelt. Klarer als alle politische zeigen sich die inneren Ereignisse der beiden Welten. In den bildenden Künsten arbeiten die unbekannten Meister, die wir mit den Hohenstaufen in Verbindung zu bringen suchen. Wie inhaltsreich die Sculpturen seien, die hier in erster Linie in Betracht kommen, zeigt äußerlich schon das immer mehr sich steigernde Interesse, mit dem die Kunsthistoriker sie behandeln und das Publicum an diesen Bemühungen Theil nimmt. Auch in den Augen Derer, denen diese Dinge fern liegen, gewinnen sie wachsende Wichtigkeit.
Was über dies dritte Jahrtausend der Weltgeschichte, an dessen Abschlüsse wir heute stehen, zu sagen wäre, ergibt sich so sehr von selbst, daß es nicht nöthig sein wird, zu beweisen, welche maßgebende Rolle die Betrachtung der Phantasiearbeit der Völker hier spielt. Dies Jahrtausend endlich enthält die Thatsachen, von denen die Neuere Kunstgeschichte zu berichten hat. Die Verbindung dieser Thatsachen mit denen der bloß politischen Geschichte ergibt die Gedanken, deren Mittheilung die Heranwachsende Generation von den Professoren der Neueren Kunstgeschichte begehrt.
V.
Das dritte Jahrtausend der Geschichte der bildenden Phantasie.
Ich zähle rasch auf, was Jedermann ja schon geläufig ist:
Die Epoche der Scholastik würde für Italien unverständlich sein ohne Dante und Giotto.