Heft 
(1891) 66
Seite
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Willkürliche und unwillkürliche Bewegung.

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bisher ohne unser Zuthun und Wissen geschah. Statt aller und vor allen theoretischen Betrachtungen darüber, wie dies möglich ist, scheint es mir nur eine dankbare Aufgabe, uns über möglichst viele Arten von dem, was an unserem eigenen Leibe theils mit, theils ohne unseren Willen geschieht, klar zu werden und Rechenschaft zu geben. Je mehr wir in den Hergang bei allen möglichen einzelnen Bewegungen unseres Körpers, in denen sich sein Leben offenbart, beobachtend eindringen, um so mehr werden wir finden, daß das Jneinander- spielen und Jneinanderübergehen jener beiden Arten von Bedingtheit derselben, die sich auf den ersten Blick so klar zu scheiden und so schroff gegenüber zu stehen scheinen, der rein willkürlichen und rein unwillkürlichen oder reflectorischen, nicht die Ausnahme, sondern die Regel bilden, nach welcher geistiges, innerlich bewußtes und körperliches, äußerlich sichtbares Geschehen in unserem Leben sich beständig durchdringen. Zu wissen, wie viel oder wenig wir zunächst rein handgreiflich durch Beherrschung der Glieder unseres Leibes wollen können, ist Wohl ein Stück Selbstkenntniß, Werth einer Anstrengung der Selbstbeobachtung.

Wir gehen nun also, indem wir einzelne Vorgänge der Bewegung analysiren, darauf aus, in ihrem Verlause thunlichst die Grenze zu ziehen, bis zu welcher einerseits der Einfluß des Willens, andererseits der eines äußeren Reizes reicht. Entscheidend für die Erkennbarkeit des ersteren bleibt in erster Linie das klare Bewußtsein, welches wir davon haben, daß wir eine Bewegung thun oder lassen können. Dies setzt natürlich wieder voraus, daß wir von ihr, wie sie ist und sein soll, eine klare Vorstellung haben. Was wir uns nicht vorstellen können, können wir auch nicht wollen. Aber wir werden beides in der Anwendung auf die Bestimmung der Grenzen, bis zu welchen der Willenseinstuß reicht, so weit ausdehnen dürfen, daß wir ihn auch da noch annehmen, wo wir zwar nicht immer von einer Bewegung wissen und uns bewußt sind, sie machen oder nicht machen zu können, wo wir aber bei Aufmerksamkeit auf dieselbe es dahin bringen können, sie uns klar zu machen und uns dann auch bewußt werden, sie nun herbeiführen oder hindern zu können. Andererseits ist nachzugehen, ob und in­wieweit die Einwirkung eines äußeren Reizes oder Eindruckes Einfluß aus die Entstehung oder die Art des Verlaufes einer Bewegung hat. Aber damit ist dann auch nicht immer gleich gesagt, daß sie dies ganz unmittelbar und ohne Zuthun des Willens thut. Denn der Eindruck kann außerdem auch Empfindung in uns angeregt, eine Vorstellung in uns hervorgerufen haben, welche auf die Art und Absicht, in und mit welcher unser Wille bei der Bewegung thätig wird, einen Einfluß übt, und so hätte dieser nur indirect von jenem Eindrücke abgehängt und Wäre deshalb noch kein ganz unwillkürlicher Effect desselben. Und auch dies ist nicht immer nur dann erkennbar, wenn wir von vornherein uns bewußt sind, zuerst den Eindruck als Empfindung ausgenommen und dann demgemäß mit Absicht und Willen gehandelt zu haben. Es kann dies auch dann noch als der Grund der erfolgenden Bewegung angesehen werden, wenn wir uns nur bei stärkerem Aufmerken zum Bewußtsein bringen können, daß wir erst den Eindruck ausgenommen und dann den Beschluß gefaßt haben.

Deutschs Rundschau. XVIs, 6.

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