Heft 
(1891) 66
Seite
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Deutsche Rundschau.

die durch Reflex entstehenden entsprechen in der Regel einem Zwecke, sind zweck­mäßig, insofern sie die Ursache des Reizes entfernen oder mäßigen, durch welchen sie angeregt sind; die Verkleinerung der Pupillen im Auge erfolgt bei starkem Lichteinfall in das Auge und hat die Folge, daß der Lichteinsall vermindert wird. Aber Lachen und Weinen, Nasenrümpfen und Stirnrunzeln führen an sich zu nichts, haben also auch keinen Zweck. Wir, die wir lachen oder weinen, wissen gar nichts davon, wie sich dabei unser Gesicht verändert; aber unsere Mitmenschen sehen es. Sie wissen aus Erfahrung, was es zu bedeuten hat, und deuten es richtig als Zeichen der Stimmung, in der wir uns eben befinden. Sonst hat es weiter keinen Zweck, Md dies ist auch nicht unser Zweck. Wir lachen und weinen nicht, um unsere Stimmung zu äußern; sie ist es, die sich von selbst in dieser Weise äußert. Das ist ein Factum. Einen Grund wissen Wir nicht dafür. Aber wenn wir einer Vermuthung darüber nachgehen wollen, liegt es gerade hier besonders nahe, mit Darwin daran zu denken, daß diese regelmäßige Wiederkehr der Erscheinung im Gesicht als Folge eines Affectes eine Angewöhnung ist, die wir ererbt haben und zwar nicht nur von den Vorfahren unseres Gleichen, sondern anderer Art, bei denen diese Bewegungen noch irgend­wie praktisch mit solchen entweder willkürlichen oder reslectirten zusammenhiugen, die den Zweck hatten, einen Reiz zu bekämpfen, eine Lust zu befriedigen, von deren Empfindung unsere Stimmungen die verfeinerten Fortsetzungen sind. Ich habe in einer kleinen Arbeit über die Action der Muskeln an den Lippen die Vermuthung ausgesprochen, daß die Züge des Mundes beim Weinen mit dem Ansetzen desselben zum Essen, und die beim Lachen mit dem zum Trinken in Verwandtschaft stehen. An die willkürlichen Acte des Auf- und Zumachens der Löcher von Auge, Nase und Mund schließen sich die unwillkürlichen Ver­änderungen der Gesichtszüge jedenfalls als um sie herum spielend an, nur daß sie eben nicht mit ihnen durch den Willen eingesetzt werden, vielmehr ganz über­raschend oft diesen praktischen Gebrauch der bei beiden betheiligten Organe störend unterbrechen.

Sobald man sich nun aber vor den Spiegel stellt und nur so zum Tage hinein, wie es Zufall und Laune des Augenblicks mit sich bringen, anfängt, das Gesicht zu verziehen, dabei aber aus jede einzelne Bewegung achtet, die man da sieht, dann wird man sehr bald inue, daß man jede einzelne derselben auch mit Willen spielen lassen kann. Die eine oder die andere kommt Wohl zuerst be­sonders in Gesellschaft einer anderen mit zu Stande, wie jene am Rande des Handtellers zusammen mit dem Spreizen des kleinen Fingers, manche verbreiten sich auch weiter und weiter in der Umgegend, wenn man sie erst bemerkt und dann mit dem Willen begünstigt; aber man kann nun eine jede, wenn man sie erst einmal richtig mit dem Auge erfaßt hat, auch nach Belieben mit Willen Hervorrufen und zwar nun ohne alle Beziehung zu einer wirklichen oder einge­bildeten Gemüthsstimmung, rein als absichtliche Reproduction der Hebung oder Senkung des Nasenflügels oder Mundwinkels, die man zuvor im Spiegel gesehen hat. So kann man allerlei scherzhafte Combinationen der Gesichtszüge heraus­drücken, lächerliche, weinerliche, süßliche, grimmige, schläfrige und auch solche, die es gar nicht gibt. Aber freilich, die natürlichsten, wie sie der unwillkürliche